Generalanwalt M. Poiares Maduro geht in seinen Schlussanträgen vom 3. April 2008 in der Rechtssache Huber gegen die Bundesrepublik Deutschland (C-524/06) davon aus, dass die umfassende Datenspeicherung von Daten, die Unionsbürger betreffen, im AZR gemeinschaftswidrig ist.
Das Datenspeicherungs- und -verarbeitungssystem ist mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unvereinbar, soweit es auch Daten enthält, die nicht in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, genannt sind, und soweit darauf auch andere Behörden als die Zuwanderungsbehörde zugreifen können. Ebenso ist die zentralisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die nur für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gilt, mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unvereinbar, wenn es andere effektive Möglichkeiten zur Vollziehung von zuwanderungs- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen gibt, was vom nationalen Gericht zu beurteilen ist.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Heinz Huber, ist österreichischer Staatsangehöriger. Seit 1996 lebt und arbeitet er in Deutschland. Die personenbezogenen Daten von Ausländern, die in Deutschland leben, auch die von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, werden in einem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verwalteten Zentralregister gespeichert. Die über Herrn Huber in diesem Register gespeicherten Informationen umfassen persönliche Daten und den Familienstand, Passangaben, das Datum seiner ersten Einreise nach Deutschland, seinen Aufenthaltsstatus, seine verschiedenen Wohnsitzwechsel innerhalb Deutschlands sowie das Geschäftszeichen der Registerbehörde und die Bezeichnung der Stellen, die Daten über ihn übermittelt haben. Personenbezogene Daten deutscher Staatsangehöriger werden nur in den Einwohnermelderegistern der Gemeinden gespeichert, da es für sie kein Zentralregister auf Bundesebene gibt.
Im Jahr 2002 beantragte Herr Huber unter Berufung auf die Art. 12 EG und 49 EG sowie die Richtlinie 95/46, alle ihn betreffenden Daten im Zentralregister zu löschen. Sein Antrag wurde vom damals zuständigen Bundesverwaltungsamt abgelehnt, das auch einen gegen diese Ablehnung gerichteten Widerspruch zurückwies. Daraufhin erhob Herr Huber mit demselben Antrag Klage beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht gab der Klage mit der Begründung statt, dass die Speicherung der Daten des Klägers unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht sei. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge legte gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land NordrheinWestfalen ein. Dieses setzte das Verfahren aus und rief den EuGH an, um die Vereinbarkeit des deutschen Systems der Verarbeitung von Daten ausländischer Unionsbürger zu klären.
Der Generalanwalt hebt hervor, dass die Mitgliedstaaten weder nach der Richtlinie 2004/38 noch nach dem Urteil Watson und Belmann über eine unbeschränkte Befugnis zur Einführung von Melde- und Überwachungssystemen für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten verfügten:
"Es ist offensichtlich, dass eine Meldepflicht zwangsläufig bedeutet, dass einige personenbezogene Daten von EU-Bürgern erhoben, gespeichert und verarbeitet werden. Die Richtlinie 2004/38 enthält allerdings keine Vorschriften darüber, wie dies zu geschehen hat. Dies ist Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, der von dieser Befugnis jedoch in einer Art und Weise Gebrauch machen muss, die mit seinen Pflichten nach dem Gemeinschaftsrecht, einschließlich seiner Pflicht, Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit zu unterlassen, vereinbar ist. Die Tatsache, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber implizit die Möglichkeit akzeptiert hat, dass einige Daten erhoben werden, bedeutet nicht, dass er die Mitgliedstaaten ermächtigt hat, jedes beliebige System der Datenerhebung und verarbeitung einzuführen, das sie für geeignet halten.
…
12. Dass die Daten von Unionsbürgern nicht nur den Zuwanderungsbehörden, sondern der Verwaltung im Allgemeinen zugänglich gemacht werden, ist eindeutig durch kein Erfordernis der Vollziehung aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen gerechtfertigt. Selbst wenn das untersuchte System erforderlich ist, um den Zuwanderungsbehörden die Erfüllung ihrer Aufgaben zu ermöglichen, folgt daraus nicht, dass die in diesem System gespeicherten Daten anderen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden und sonstigen öffentlichen Stellen zugänglich gemacht werden dürfen. Im Vorlagebeschluss wird ausgeführt, dass die im Ausländerregister gespeicherten Informationen nicht nur vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sondern auch von vielen anderen Behörden und öffentlichen Stellen genutzt werden können, etwa von der Polizei, den Sicherheitsbehörden, der Staatsanwaltschaft und den Gerichten. Einige dieser Behörden können Daten in einem automatisierten Verfahren abrufen. Auch nicht öffentliche karitative Organisationen, Behörden aus anderen Staaten und internationale Organisationen können Zugang zu diesen Informationen erhalten. Es ist offensichtlich, dass der Umfang der für das Ausländerzentralregister erhobenen und verarbeiteten Daten sehr weit reicht und über zuwanderungsrechtliche Zwecke hinausgeht, indem alle Arten von Beziehungen zwischen dem Einzelnen und dem Staat erfasst werden. Durch das Zentralregister sind die verschiedenen Behörden in Deutschland in der Lage, Daten über den persönlichen Status von im Inland ansässigen Unionsbürgern abzurufen sowie systematisch und ohne Probleme ihren Verbleib zu überwachen und untereinander alle Informationen auszutauschen, die sie für eine solche Überwachung benötigen. Das Register des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist damit viel mehr als nur ein Zuwanderungsregister; es ist eine umfassende Datenbank, über die die staatlichen Behörden jederzeit auf die personenbezogenen Daten von Unionsbürgern zugreifen können. Deutsche Staatsangehörige werden ganz anders behandelt, da für sie keine vergleichbare Datenerfassungseinrichtung existiert. Eine Verwaltungsbehörde, die Informationen über einen deutschen Staatsangehörigen benötigt, müsste eine sehr viel aufwändigere und kompliziertere Suche anhand der bei den Gemeinden geführten Register durchführen, die nicht zentral verwaltet werden, nicht gleichzeitig abgefragt werden können und weniger Informationen als das Ausländerregister enthalten.
13. Aus diesem Grund bin ich auch der Ansicht, dass die im Ausländerzentralregister gespeicherte Datenmenge nicht gerechtfertigt werden kann. Die Registrierung von Unionsbürgern ist gemäß der Richtlinie 2004/38 nur zu dem Zweck zulässig, den Aufenthaltsstatus und das Aufenthaltsrecht einer Person festzustellen. Folglich können die Mitgliedstaaten nur solche Daten rechtmäßig erheben und verarbeiten, die das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern betreffen. Art. 8 der Richtlinie 2004/38, dessen Abs. 1 die Möglichkeit einer Anmeldepflicht vorsieht, bestimmt in Abs. 3, welche Informationen und Unterlagen die nationalen Behörden für die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung verlangen dürfen. Von Unionsbürgern darf verlangt werden, dass sie ihre Identität durch die Vorlage ihres Reisepasses oder ihres Personalausweises beweisen und Unterlagen betreffend ihre Beschäftigung oder ihr Studium im Gastland (wenn sie als Studenten oder Arbeitnehmer kommen) oder einen Nachweis über ihre finanziellen Mittel vorlegen. Diese Aufzählung ist nicht beispielhaft, sondern abschließend. Durch den Erlass von Art. 8 Abs. 3 haben das Europäische Parlament und der Rat zum Ausdruck gebracht, dass die Informationen, auf die in dieser Bestimmung Bezug genommen wird, ausreichen, damit ein Mitgliedstaat sein Recht ausüben kann, zu überwachen, wer in das Land einreist und sich dort niederlässt. Folglich kann die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von mehr als den in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 genannten Daten, wie dies Deutschland derzeit tut, nicht durch das Erfordernis gerechtfertigt werden, die aufenthalts- und zuwanderungsrechtlichen Bestimmungen durchzusetzen."
Der Generalanwalt kommt zu folgendem Ergebnis:
1. Ein Datenspeicherungs- und -verarbeitungssystem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unvereinbar, soweit es auch Daten enthält, die nicht in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, genannt sind, und soweit darauf auch andere Behörden als die Zuwanderungsbehörde zugreifen können. Ebenso ist die zentralisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die nur für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gilt, mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit unvereinbar, wenn es andere effektive Möglichkeiten zur Vollziehung von zuwanderungs- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen gibt, was vom nationalen Gericht zu beurteilen ist.
2. Ein Datenspeicherungs- und -verarbeitungssystem wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist mit dem Erforderlichkeitsgebot des Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr unvereinbar, soweit es auch Daten enthält, die nicht in Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 genannt sind, und soweit darauf auch andere Behörden als die Zuwanderungsbehörden zugreifen können. Ebenso ist die zentralisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die nur für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gilt, mit dem Erforderlichkeitsgebot des Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 unvereinbar, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass es keine andere Möglichkeit für die Vollziehung von zuwanderungs- und aufenthaltsrechtlichen Regelungen gibt, was vom nationalen Gericht zu beurteilen ist.
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