EuGH: Liste sicherer europäischer Drittstaaten ist nichtig

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Der Europäische Gerichtshof erklärt in der Rechtssache C-133/06 (Parlament / Rat) verschiedene Bestimmungen über die Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft für nichtig, weil der Rat dadurch, dass er für die zukünftige Erstellung gemeinsamer Listen sicherer Staaten nur die Anhörung des Parlaments und nicht das Mitentscheidungsverfahren vorsieht, die ihm durch den Vertrag zugewiesenen Befugnisse im Bereich der Asylpolitik überschritten, hat.

Am 1. Dezember 2005 hat der Rat eine Richtlinie über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft erlassen (Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13). Diese Richtlinie sieht vor, dass der Rat nach Anhörung des Europäischen Parlaments mit qualifizierter Mehrheit eine gemeinsame Minimalliste der Drittstaaten, die von den Mitgliedstaaten als sichere Herkunftsstaaten zu betrachten sind, sowie eine gemeinsame Liste sicherer europäischer Drittstaaten erstellt. Auch die Änderung dieser beiden Listen bedarf der qualifizierten Mehrheit im Rat nach Anhörung des Parlaments.

Das Parlament hat eine Nichtigkeitsklage gegen die Bestimmungen der Richtlinie erhoben, die seine bloße Anhörung vorsehen. Seines Erachtens hätten diese Bestimmungen für die Erstellung der genannten Listen das Mitentscheidungsverfahren vorsehen müssen, bei dem das Parlament als Mitgesetzgeber beteiligt ist. Der Rat habe rechtswidrig in einer Maßnahme des abgeleiteten Rechts – der Richtlinie – Rechtsgrundlagen geschaffen, die es ihm erlaubten, diese Listen zu erstellen, und damit einen „Rechtsetzungsvorbehalt“ für sich in Anspruch genommen.

Der Rat macht dagegen geltend, der Rückgriff auf abgeleitete Rechtsgrundlagen sei eine bewährte, durch keine Bestimmung des EG-Vertrags verbotene gesetzgeberische Technik. Die Empfindlichkeit dieses Politikbereichs mache es erforderlich, schnell und wirksam auf Veränderungen der Situation in den betreffenden Drittstaaten zu reagieren. Schließlich lägen die Voraussetzungen für den Übergang zum Mitentscheidungsverfahren nicht vor.

Dem Gerichtshof stellt sich im Wesentlichen die Frage, ob der Rat berechtigt war, in der Richtlinie vorzusehen, dass die Listen sicherer Staaten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments mit qualifizierter Mehrheit erstellt und geändert werden.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass jedes Organ nur nach Maßgabe der ihm im Vertrag zugewiesenen Befugnisse handeln darf. Das von der Richtlinie für die Erstellung der Listen geschaffene Verfahren unterscheidet sich von dem im Vertrag vorgesehenen Verfahren. Die Grundsätze über die Willensbildung der Gemeinschaftsorgane sind aber im Vertrag festgelegt und stehen nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst. Würde einem Organ die Möglichkeit zur Schaffung abgeleiteter Rechtsgrundlagen gegeben, so liefe dies darauf hinaus, ihm eine Rechtsetzungsbefugnis zu verleihen, die über das im Vertrag vorgesehene Maß hinausginge.
Daher hat der Rat dadurch, dass er abgeleitete Rechtsgrundlagen in die Richtlinie eingefügt hat, seine ihm durch den Vertrag verliehenen Befugnisse überschritten. Unter diesen Umständen erklärt der Gerichtshof die angefochtenen Bestimmungen für nichtig.

Der Gerichtshof fügt in Bezug auf die zukünftige Erstellung und Änderung von Listen sicherer Staaten hinzu, dass der Rat die im Vertrag vorgesehenen Verfahren beachten muss. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass das Mitentscheidungsverfahren sowohl für die Erstellung und die Änderung der Listen sicherer Staaten im Wege der Gesetzgebung als auch im Falle der etwaigen Entscheidung für die Anwendung von Art. 202 dritter Gedankenstrich EG, der Durchführungsbefugnisse betrifft, anzuwenden ist.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 29/08 vom 6. Mai 2008

Link zur Entscheidung

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