Am 11. September 2008 hat der Generalanwalt Yves Bot seines Schlussanträge in der Rechtssache C-337/07 (Altun) vorgelegt. Es geht um die Frage, ob Kinder türkischer Asylbewerber oder Flüchtlinge, die nicht über einen Zeitraum von drei Jahren tatsächlich als Arbeitnehmer beschäftigt waren, ihren nachgezogenen Kindern die Rechtsstellung aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermitteln können. Außerdem geht es um die Frage, ob Täuschungen im Asylverfahren auf den Rechtserwerb der Kinder durchschlagen können.
Der Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträge (Rn. 63 ff.) zu dem Ergebnis, dass der Begriff der Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt bedeute, dass der türkische Arbeitnehmer rechtmäßig Zugang zum Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats habe. Die besage nicht, dass dieser Arbeitnehmer tatsächlich eine Berufstätigkeit ausüben müsse.
Diese auf den ersten Blick nicht sehr ausergewöhnliche Rechtsansicht führt im Ergebnis zu einem Auseinanderfallen der Rechtsstellung der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen. Denn ein türkischer Arbeitnehmer, der mit dem Aufenthaltstitel einen Zugang zum Arbeitsmarkt erworben hat, kann ohne jemals gearbeitet zu haben, seinen Kindern die Rechtsstellung aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vermitteln, die seit den letzten Entscheidungen des EuGH nur in zwei Fällen entfällt (Verlassen des Bundesgebietes und Straffälligkeit) und damit ein fast grenzenloses Aufenthaltsrecht verleiht.
Da ein Großteil der Aufenthaltstitel kraft Gesetzes zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt, ist der Rechtserwerb nahezu uneingeschränkt möglich. Hinzu kommt, dass auch frühere Arbeitsberechtigungen als uneingeschränkte Zustimmungen zur Aufnahme einer Beschäftigung gelten und damit gleichfalls im Zusammenhang mit einem Aufenthaltstitel die Grundlage für den Rechtserwerb der Kinder bilden können.
Auch beim Missbrauchstatbestand gehen die Schlussanträge des Generalanwalts sehr weit. Beruht das Aufenthaltsrecht des Elternteils auf einer Täuschung, so kann dessen Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 ohne zeitliche Schranke entzogen werden. Die Rechtsstellung der Kinder soll aber nicht mehr betroffen sein, wenn diese die Voraussetzungen der eigenständigen Rechtsstellung erfüllen. Auch wenn durch Rücknahme des Aufenthaltsrechts des Elternteils dieser keiner ordnungsgemäßen Beschäftigung während des Erwerbszeitraums nach Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 nachgehen konnte, soll die eigenständige Rechtsstellung, die kraft Gesetzes erworben wird (!), aus Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht mehr entzogen werden.
Bei dieser Argumentation wird nicht sauber zwischen den Erwerbstatbeständen und dem Entzug der Rechtsstellung unterschieden. Zwar kann ein Entzug einer Rechtsstellung durch Rücknahme durch Vertrauensschutzgesichtspunkte ausgeschlossen sein, aber der Erwerbstatbestand selber kann durch Vertrauensschutz nicht verändert werden.
Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH den Schlussanträgen nicht kritiklos folgt.
Die Schlussanträge finden sich unter Rechtsprechung/EuGH/türkische Staatsangehörige
https://www.migrationsrecht.net/index.php?option=com_edocman&view=category&id=36