EuGH: Beschluss über das Einfrieren von Geldern terroristischer Organisationen für nichtig erklärt

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Der EuGH hat mit Urteil des Gerichts erster Instanz vom 23. Oktober 2008 (T-256/07 – Rechtssache: People's Mojahedin Organization of Iran / Rat) den Beschluss 2007/868/EG des Rates für nichtig erklärt, mit dem das Einfrieren von Geldern der People’s Mojahedin Organization of Iran angeordnet wird.

Der Rat hat seinen Beschluss im Anschluss an die Entscheidung einer Justizbehörde des Vereinigten Königreichs, die PMOI von der nationalen Liste terroristischer Organisationen zu streichen, nicht ausreichend begründet

Am 28. September 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution, in der alle Mitgliedstaaten der UNO aufgefordert wurden, mit allen Mitteln gegen den Terrorismus und seine Finanzierung zu kämpfen, u. a. indem sie Gelder von Personen und Organisationen einfrieren, die terroristische Handlungen begehen oder zu begehen versuchen.

Die Resolution wurde in der Gemeinschaft u. a. durch einen Gemeinsamen Standpunkt  und eine Verordnung des Rates , beide vom 27. Dezember 2001, umgesetzt, mit denen das Einfrieren der Gelder von Personen und Organisationen angeordnet wird, die in einer durch Beschlüsse des Rates aufgestellten und regelmäßig aktualisierten Liste genannt sind. Die Aufnahme in diese Liste erfolgt auf der Grundlage genauer Informationen bzw. der einschlägigen Akten, aus denen sich ergibt, dass eine zuständige nationale Behörde, in der Regel eine Justizbehörde, gegenüber den betreffenden Personen oder Organisationen einen Beschluss gefasst hat. Die Namen von in der Liste aufgeführten Personen und Organisationen sind regelmäßig, mindestens einmal pro Halbjahr, einer Überprüfung zu unterziehen, um sicherzustellen, dass ihr Verbleib auf der Liste nach wie vor gerechtfertigt ist.
Die 1965 gegründete People's Mojahedin Organization of Iran (PMOI) setzte sich zum Ziel, das Regime des iranischen Schahs und dann das Regime der Mullahs durch ein demokratisches Regime zu ersetzen. In der Vergangenheit verfügte sie über einen bewaffneten Arm, der im Innern des Iran operierte. Sie gibt jedoch an, sie übe nach ausdrücklichem Verzicht seit Juni 2001 keine militärische Aktivität aus.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2002 nahm der Rat die PMOI in die Liste der Personen und Organisationen auf, deren Gelder im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus einzufrieren sind. Seitdem erließ der Rat mehrere Beschlüsse, mit denen die betreffende Liste aktualisiert wurde. Die PMOI wurde immer auf der Liste belassen.

Die PMOI hat beim Gericht Klage gegen diese Beschlüsse erhoben. Mit seinem Urteil vom 12. Dezember 2006 (Urteil OMPI) erklärte das Gericht den Beschluss aus dem Jahr 2005 , mit dem das Einfrieren der Gelder der PMOI angeordnet worden war, für nichtig, weil er nicht begründet gewesen sei, weil er im Rahmen eines Verfahrens erlassen worden sei, in dessen Verlauf die Verteidigungsrechte nicht gewahrt worden seien, und weil das Gericht selbst nicht in der Lage gewesen sei, die gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses vorzunehmen .
Mit Schreiben vom 30. Januar 2007 teilte der Rat der PMOI mit, dass nach seiner Ansicht die für ihre Aufnahme in die Liste geltend gemachten Gründe noch immer gültig seien und dass er infolgedessen beabsichtige, sie auf dieser Liste zu belassen. In der diesem Schreiben beigefügten Begründung führte der Rat u. a. aus, dass von einer nationalen Behörde gegenüber der PMOI ein Beschluss gefasst worden sei, nämlich die Verordnung des Home Secretary (Innenminister) des Vereinigten Königreichs vom 28. März 2001, mit der die PMOI als eine am Terrorismus beteiligte Organisation verboten worden sei, und dass dieser Beschluss nach wie vor in Kraft sei. Mit mehreren Schreiben nahm die Klägerin dem Rat gegenüber Stellung, wobei sie ausführte, dass nach dem Urteil OMPI kein Beschluss habe rechtmäßig erlassen werden können, sie auf der streitigen Liste zu „belassen“.

Nach mehrfachem Briefwechsel zwischen dem Rat und der PMOI erließ der Rat am 28. Juni 2007 den Beschluss 2007/445/EG, mit dem die Liste über das Einfrieren von Geldern aktualisiert wurde. Die PMOI wurde auf dieser Liste belassen.

Am 16. Juli 2007 beantragte die PMOI, den Beschluss 2007/445/EG für nichtig zu erklären.
Am 30. November 2007 gab die Proscribed Organisations Appeal Commission (POAC) einer Beschwerde gegen den Beschluss des Home Secretary statt, mit dem es abgelehnt worden war, das Verbot der Klägerin als einer am Terrorismus beteiligten Organisation aufzuheben. Sie wies den Home Secretary an, die PMOI von der Liste der verbotenen Organisationen zu streichen. In dieser Entscheidung hat die POAC die Schlussfolgerung des Home Secretary, dass die PMOI noch eine am Terrorismus beteiligte Organisation sei, als „abwegig“ und „vernunftwidrig“ bezeichnet. Anschließend wies die POAC den Antrag des Home Secretary auf Zulassung eines Rechtsmittels beim Court of Appeal mit der Begründung zurück, dass keines der vom Home Secretary vorgetragenen Argumente eine realistische Erfolgsaussicht habe.

Am 20. Dezember 2007 erließ der Rat den Beschluss 2007/868/EG, mit dem die Liste aktualisiert wurde. Der Name der PMOI war in der Liste aufgeführt. Der Rat war der Ansicht, dass die Gründe, die Klägerin auf der streitigen Liste zu belassen, nach wie vor gültig seien, und führte aus, dass der Home Secretary die Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung der POAC beantragt habe.

Infolgedessen beantragte die PMOI beim Gericht, ihre Anträge derart anpassen zu dürfen, dass ihre Klage auch auf die Nichtigerklärung des Beschlusses 2007/868/EG gerichtet sei.

Der Antrag des Home Secretary auf Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung der POAC beim Court of Appeal wurde am 7. Mai 2008 zurückgewiesen. Am 24. Juni 2008 strich das Parlament des Vereinigten Königreichs die PMOI von der nationalen Liste der verbotenen Organisationen. Am 15. Juli 2008 erließ der Rat den Beschluss 2008/583/EG, mit der die Liste über das Einfrieren von Geldern aktualisiert wurde. Der Name der PMOI war in dieser Liste enthalten. Der Rat führt in dieser Hinsicht aus, dass, selbst wenn die Verordnung des Home Secretary nicht mehr in Kraft sei, dem Rat neue Erkenntnisse über diese Organisation vorlägen. Diese neuen Erkenntnisse rechtfertigten den Verbleib dieser Organisation auf der Liste. Dieser Beschluss ist noch in Kraft und wird in der vorliegenden Rechtssache nicht in Frage gestellt. Am 21. Juli 2008 hat die PMOI eine Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss erhoben. Diese Rechtssache ist unter der Nummer T 284/08 noch beim Gericht anhängig.

Die Bedeutung des Urteils OMPI und der Antrag auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2007/445/EG
Zunächst erinnert das Gericht daran, dass mit dem Urteil OMPI der Beschluss 2005/930/EG für nichtig erklärt wurde, soweit er die PMOI betraf.

Nach dieser Nichtigerklärung war der Rat verpflichtet, darauf zu achten, dass eventuelle spätere, nach dem Urteil zu erlassende Beschlüsse über das Einfrieren von Geldern für spätere Zeiträume nicht die gleichen Fehler aufweisen. Im vorliegenden Fall ist der Rat dieser Verpflichtung nachgekommen, indem er alsbald nach der Verkündung des Urteils OMPI ein neues Verfahren geschaffen und dann angewandt hat, um den Form- und Verfahrensvorschriften, die vom Gericht in jenem Urteil genannt werden, zu entsprechen und um der Klägerin die in dem neuen Verfahren vorgesehen Garantien zu gewähren, bevor er den Beschluss 2007/445/EG erlassen hat.
Der Rat hat der PMOI eine Begründung übermittelt, die klar und unmissverständlich die Gründe nannte, die ihren Verbleib auf der Liste rechtfertigten, und er übermittelte ihr eine gewisse Anzahl von Unterlagen aus den Akten. Der PMOI wurde auch Gelegenheit gegeben, zu den Punkten, die ihr zur Last gelegt wurden, sachgerecht Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang hat der Rat die Verteidigungsrechte der PMOI und seine Begründungspflicht beachtet.

Schließlich führt das Gericht hinsichtlich der Beweiswürdigung aus, dass die Überprüfung, ob ein Beschluss einer nationalen Behörde vorliegt, eine wesentliche Voraussetzung für den Erlass eines Ausgangsbeschlusses über das Einfrieren von Geldern ist, während die Überprüfung der im Anschluss an diesen Beschluss auf nationaler Ebene zu treffenden Maßnahmen für den Erlass eines Folgebeschlusses über das Einfrieren von Geldern unerlässlich ist. Das Gericht bemerkt, dass der Rat sich im vorliegenden Fall im Wesentlichen auf den Umstand gestützt hat, dass die Verordnung des Home Secretary nach wie vor in Kraft war. Der Rat hat auch die Stellungnahme der Klägerin und die von ihr vorgelegten entlastenden Beweise berücksichtigt, war aber der Ansicht, dass diese ihren Antrag auf Streichung von der Liste nicht rechtfertigten. Das Gericht ist somit der Ansicht, dass der Rat vernünftige Gründe hatte und über ausreichende Beweise verfügte, um den Beschluss 2007/445/EG zu erlassen, und dass er keinen offensichtlichen Fehler bei der Beurteilung dieser Daten begangen hat. Der Rat hat deshalb den Verbleib der PMOI auf der Liste über das Einfrieren von Geldern rechtlich hinreichend begründet.

Infolgedessen weist das Gericht den Antrag auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2007/445/EG zurück.

Antrag auf Nichtigerklärung des Beschlusses 2007/868/EG

Das Gericht stellt fest, dass der Entscheidung der POAC erhebliche Bedeutung zukommt, da es sich um die erste Entscheidung einer zuständigen Justizbehörde über die Rechtmäßigkeit der Weigerung des Home Secretary, seine Verordnung zurückzunehmen, handelt, auf deren Grundlage der Rat sowohl den Ausgangsbeschluss über das Einfrieren der Gelder der PMOI als auch alle Folgebeschlüsse erlassen hat. Angesichts dessen, dass die Überprüfung der im Anschluss an einen Beschluss einer zuständigen Behörde auf nationaler Ebene zu treffenden Maßnahmen im Hinblick auf sämtliche relevanten Daten zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses 2007/868 unerlässlich war, und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist das Gericht der Ansicht, dass die Begründung des Rates (der Home Secretary habe die Zulassung eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung der POAC beantragt) offensichtlich unzureichend ist, um das Aufrechterhalten des Einfrierens der Gelder der PMOI rechtlich zu rechtfertigen.

Das Gericht ist der Ansicht, dass diese Begründung nicht erkennen lässt, inwieweit der Rat die Entscheidung der POAC tatsächlich berücksichtigt hat, wozu er verpflichtet war.

In dieser Begründung werden nicht die besonderen und konkreten Gründe dargelegt, aus denen der Rat trotz der souverän getroffenen Tatsachenfeststellung der POAC und der das Vorgehen des Home Secretary besonders scharf missbilligenden rechtlichen Schlussfolgerungen, die dieses Gericht daraus gezogen hat, der Meinung war, dass der Verbleib der Klägerin auf der streitigen Liste im Hinblick auf denselben Komplex von Tatsachen und Umständen, über den die POAC zu befinden hatte, nach wie vor gerechtfertigt sei. Schließlich ist das Gericht der Ansicht, dass der Rat zwar die gegen die Entscheidung der POAC gegebenen Rechtsbehelfe und deren tatsächliche Inanspruchnahme durch den Home Secretary berücksichtigen durfte, dass jedoch der Hinweis des Rates auf den Versuch des Home Secretary, ein Rechtsmittel einzulegen, nicht genügte, um den Rat von der Pflicht zu befreien, die souverän getroffenen Tatsachenfeststellungen der POAC und die rechtlichen Schlussfolgerungen, die sie daraus gezogen hatte, besonders zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, als zum einen die POAC dessen Weigerung, das Verbot der Klägerin aufzuheben, als „vernunftwidrig“ und „abwegig“ bezeichnet hatte, und als zum anderen der Rat zum Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses 2007/868/EG darüber unterrichtet war, dass die POAC die Zulassung eines Rechtsmittels des Home Secretary mit der Begründung abgelehnt hatte, dass keines der vom Home Secretary vorgetragenen Argumente realistische Erfolgsausichten vor dem Court of Appeal habe.

Infolgedessen erklärt das Gericht den Beschluss 2007/868/EG für nichtig, soweit er die PMOI betrifft.

HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften eingelegt werden.