Berlin - Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, hat sich in einem Interview, das der "Tagesspiegel am Sonntag" mit ihm führte, gegen einen EU-Beitritt der Türkei positioniert. Das Interview stand unter dem Thema "Dialog mit dem Islam". Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der Grünen, übte deutliche Kritik an der Haltung und den Äußerungen Hubers.
Huber beantwortete die Frage, ob er einen EU-Beitritt der Türkei begrüßen würde, ablehnend. Dabei stellte er die Verhandlungen über die Mitgliedschaft jedoch nicht in Frage; vielmehr sah er sie als geeigneten Zeitraum, um eine Klärung offener Fragen herbeizuführen. Huber befürchtet jedoch, dass eine Aufnahme der Türkei in die EU sich kontraproduktiv auf die Vertiefung der Union und ihren Identitätsbildungsprozess auswirken könnte; er sagte: "Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass sich eine EU mit der Türkei als Mitglied eher zu einer Freihandelszone entwickelt. Wir haben jedoch inzwischen einen europäischen Verfassungsvertrag, der sich mit einem christlich geprägten Menschenbild verbindet." Angesprochen auf die Bereiche, in denen die Türkei als Staat noch nicht eingliederungsfähig sei, nannte Huber insbesondere den Bereich der Menschenrechte, namentlich die Religionsfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau und die Rechte von Minderheiten.
Volker Beck nannte die Äußerungen Hubers "nicht hilfreich, ausgrenzend und sachwidrig". Er zog Parallelen zur Integration von türkischstämmigen Ausländern in Deutschland, die man mit den gleichen Argumenten als unmöglich ansehen könne. Beck betonte, wie vor ihm in ähnlicher Form schon der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan, die EU dürfe "nicht zu einem exklusiven Christenklub werden". Becks Engagement und Äußerungen darf man durchaus als glaubhaft ansehen, zumal er sich seit Jahren aktiv für politische Forderungen von Homosexuellen stark macht, die in der Türkei ebenfalls eine der massiv unterdrückten Minderheiten darstellen: Beck scheint also in der Tat an den Erfolg eines rechtsstaatlichen Dialogs mit der Türkei zu glauben.
Vor wenigen Tagen hatte sich auch der Soziologe, Politiker und Publizist Lord Ralf Dahrendorf in der Debatte zu Wort gemeldet. Er setzte mit der Frage auseinander, was eine europäische Identität, deren angebliche Gefährdung durch einen Beitritt der Türkei ja stets als Argument angebracht werde, denn überhaupt sein könne. Als Bestandteile des Identitätsbegriffs nannte Dahrendorf gemeinsame Werte, ein Gefühl der Zugehörigkeit und einheitliche politische Institutionen. Dabei sah er die Wertekomponente als die derzeit am wenigsten problematische an, aber auch als am wenigsten strukturbildend: "Es sind Werte, die nicht auf eine Region begrenzt sind. Sie gelten prinzipiell genauso im Irak und in China."
Weiter formulierte er auch erhebliche Zweifel am Vorliegen der weiteren Elemente: Die Entscheidungsstrukturen seien in den modernen europäischen Gesellschaften so intransparent geworden, dass es aus Sicht des Bürgers beliebig sei, ob ein Länderparlament, Organe der Europäischen Union oder ein Großunternehmen entschieden hätten. Schließlich fiele nach Dahrendorfs Einschätzung das Ergebnis einer Straßenumfrage nach dem Zugehörigkeitsgefühl der Befragten das Ergebnis zwischen den Varianten "Europäer", "Deutscher" oder "Berliner" wohl auch kaum zugunsten der ersten Möglichkeit aus.