Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit Beschluss vom 25. November 2008 (BVerwG 10 C 46.07) über den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eines ehemaligen Kämpfers und Funktionärs der Kurdischen Arbeiterpartei (früher: PKK) verhandelt und entschieden, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) Fragen zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union (Qualifikationsrichtlinie) vorzulegen.
Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, war 2001 in Deutschland als Asylberechtigter und Flüchtling anerkannt worden, weil ihm wegen seiner langjährigen Aktivitäten für die PKK Verfolgung durch den türkischen Staat und wegen seines Abfalls von der PKK Vergeltung von Seiten der PKK drohten. Nach Einführung der in der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 1 F) vorgesehenen Ausschlusstatbestände durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz 2002 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Mai 2004 unter Hinweis auf die geänderte Rechtslage beide Anerkennungen: Der Kläger habe vor seiner Aufnahme als Flüchtling den Ausschlussgrund einer schweren nichtpolitischen Straftat verwirklicht. Er habe als herausgehobenes Mitglied (Kämpfer und zeitweise Mitglied des Zentralkomitees) einer terroristischen Vereinigung angehört und deren bewaffneten Kampf - wie auch ein türkischer Haftbefehl aus dem Jahr 2000 zeige - aktiv unterstützt. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben der Klage gegen den Widerruf stattgegeben, weil der Kläger nicht vom Asyl und Flüchtlingsschutz ausgeschlossen sei. Er habe sich schon vor seiner Ausreise endgültig von der PKK gelöst. Aufgrund seines Werdegangs und seiner heutigen Überzeugungen bestehe kein Grund zu der Annahme, dass er sich nochmals an vergleichbaren Taten beteiligen werde.
Mit seiner Revision wendet sich das Bundesamt insbesondere dagegen, dass die Vorinstanzen das Vorliegen der - jetzt in § 3 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz geregelten - Ausschlussgründe von einer fortbestehenden, vom Kläger ausgehenden Gefahr abhängig gemacht haben. Der Kläger macht geltend, ihm könne der rechtmäßig zuerkannte Status nicht nachträglich ohne Änderung der Sachlage entzogen werden. Der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts folgt dieser Argumentation des Klägers nicht. Denn Art. 14 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes uneingeschränkt zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Deshalb ist in diesen Fällen der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung aufgrund der Änderung der Rechtslage zulässig. Damit kommt es für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs darauf an, ob der Kläger einen der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 AsylVfG verwirklicht hat. Der Senat hat deshalb dem EuGH wie in dem Verfahren BVerwG 10 C 48.07 Fragen zur Auslegung der Ausschlussgründe nach der Qualifikationsrichtlinie vorgelegt und das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt.
Der 10. Senat hatte bereits mit Beschluss vom 14. Oktober 2008 (BVerwG 10 C 48.07) in einem Asylrechtsstreit den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in Luxemburg angerufen und ihm zur Vorabentscheidung Fragen zum Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach der Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union (Qualifikationsrichtlinie) vorgelegt. Diese Richtlinie dient der Harmonisierung des Flüchtlingsschutzes innerhalb der Europäischen Union.
In dem Verfahren geht es um die Frage, ob der Kläger wegen terroristischer Aktivitäten vor seiner Einreise nach Deutschland von der Anerkennung als Flüchtling und als Asylberechtigter ausgeschlossen ist. Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und hat zwischen 1993 und 1995 in der Türkei den bewaffneten Kampf einer linksextremistischen Organisation (DHKP/C) aktiv unterstützt, die auf der Liste der Terrororganisationen des Rats der Europäischen Union steht und terroristische Methoden anwendet. Nach seiner Festnahme wurde er in der Türkei gefoltert und zweimal zu lebenslanger Haft verurteilt. Nachdem seine Teilnahme an einem Hungerstreik zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hatte, wurde er 2002 wegen Haftunfähigkeit vorläufig entlassen. Seinen Antrag auf Asyl und Flüchtlingsanerkennung hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt. Dabei ist es davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Einreise den Ausschlussgrund einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des Art. 12 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie verwirklicht hat. Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht haben dem Anerkennungsbegehren hingegen stattgegeben. Flüchtlingsschutz und Asyl seien nicht ausgeschlossen. Der Kläger habe jeden Kontakt zu der von ihm unterstützten terroristischen Organisation abgebrochen und sich von deren Zielen distanziert. Damit gehe von ihm keine Gefahr mehr aus, so dass ein Ausschluss bei Abwägung aller Umstände unverhältnismäßig sei.
Auf die Revision des Bundesamts hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung der Ausschlussgründe nach der Qualifikationsrichtlinie vorgelegt. Mit der Vorlage soll zunächst geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen bei terroristischen Aktivitäten ein Ausschlussgrund anzunehmen ist. Darüber hinaus dient die Vorlage der Klärung, ob die Gewährung von Asyl nach dem Grundgesetz trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach der Qualifikationsrichtlinie mit Gemeinschaftsrecht zu vereinbaren wäre (die Vorlagefragen sind als Anlage beigefügt). Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs hat das Bundesverwaltungsgericht das Revisionsverfahren ausgesetzt.
Folgende Fragen sind an den EuGH gerichtet worden:
1. Liegt eine schwere nichtpolitische Straftat oder eine Zuwiderhandlung gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen im Sinne des Art. 12 Abs. 2 Buchst. B und c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 vor, wenn der Antragsteller einer Organisation angehört hat, die im Verzeichnis der Personen, Vereinigungen und Körperschaften im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt ist und terroristische Methoden anwendet, und der Antragsteller den bewaffneten Kampf dieser Organisation aktiv unterstützt hat?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist: Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG voraus, dass von dem Antragsteller weiterhin eine Gefahr ausgeht?
3. Für den Fall, dass Frage 2 zu verneinen ist: Setzt der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung nach Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83/EG eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraus?
4. Für den Fall, dass Frage 3 zu bejahen ist:
a) Ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, dass der Antragsteller Abschiebungsschutz nach Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 oder nach nationalen Bestimmungen genießt?
b) Ist der Ausschluss nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen unverhältnismäßig?
5. Ist es im Sinne des Art. 3 der Richtlinie 2004/83/EG mit der Richtlinie zu vereinbaren, dass der Antragsteller trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie einen Anspruch auf Asyl nach nationalem Verfassungsrecht hat?
Quelle: Presseerklärungen des BVerwG