In schlechten wirtschaftlichen Zeiten werden insbesondere gering qualifizierte Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren. Damit der Verlust des Arbeitsplatzes nicht auch den aufenthaltsrechtlichen Status vernichtet, ist insbesondere bei türkischen Staatsangehörigen zu beachten, dass diese bereits nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung bei einem Arbeitgeber einen aufenthaltsrechtlichen Status erlangt haben, der einen Arbeitsplatzwechsel ermöglicht, wenn sie unfreiwillig arbeitslos geworden sind. Ihre Aufenthaltserlaubnis bleibt in diesem Fall – anders als bei einer Eigenkündigung – zunächst unberührt.
Beschäftigungsrechtliche und daraus folgend aufenthaltsrechtliche Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 setzen voraus, dass die erforderliche Beschäftigung nicht durch Fehlzeiten unterbrochen ist, es sei denn, die Unterbrechung ist nach Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 unschädlich. Dabei unterscheidet Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 zwischen zwei Kategorien von Unterbrechungen der Beschäftigung und sieht für sie unterschiedliche Folgen vor:
• Das sind zum einen die Fälle, in denen ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz im Unternehmen behält; sie sind ordnungsgemäßen Beschäftigungszeiten gleichgestellt.
• Zum anderen betrifft es Fälle, in denen der Arbeitnehmer keine Tätigkeit mehr ausübt, ohne dass man ihm dies vorwerfen könnte und ohne dass man vorhersagen könnte, wann er wieder arbeiten wird. Diese Unterbrechungen werden ordnungsgemäßen Beschäftigungszeiten nicht gleichgestellt, haben aber auch nicht zur Folge, dass der Arbeitnehmer wie bei einer vollständigen und dauernden Arbeitsunfähigkeit oder bei einer Rückkehr für lange Zeit in die Türkei vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen wird.
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 ARB 1/80 betrifft nur Zeiten tatsächlicher Unterbrechung der Beschäftigung, ohne dass das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird (Jahresurlaub, Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurze Krankheit). Diese relativ kurzen Zeiten der Abwesenheit des Arbeitnehmers werden Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgesetzt und führen zur Anrechnung im Rahmen der Beschäftigungszeiten des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
Die in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 genannten beschäftigungslosen Zeiten, die durch lange Krankheit oder unverschuldete Arbeitslosigkeit bedingt sind, werden zwar nicht Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgesetzt; die Unterbrechung ist jedoch insofern unschädlich, als der Arbeitnehmer dadurch nicht die aufgrund der vorherigen ordnungsgemäßen Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche verliert. Aus dem Wortlaut „die … erworbenen Ansprüche“ wird gefolgert, dass bei Eintritt der längeren Arbeitsunterbrechung bereits assoziationsrechtliche Ansprüche bestehen müssen. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 findet daher grundsätzlich vor Erreichen der ersten Verfestigungsstufe keine Anwendung.
Dass Arbeitslosigkeit nicht automatisch zur Folge hat, dass ein türkischer Staatsangehöriger nicht mehr als Arbeitnehmer anzusehen ist und damit aus dem Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ergibt sich unmittelbar aus Art. 8 Abs. 2 ARB 1/80, der sich mit der Vermittlung von „regulär als Arbeitslose gemeldeten türkischen Arbeitnehmern“ befasst. Aus dieser Norm lässt sich ableiten, dass die Arbeitnehmereigenschaft jedenfalls nicht automatisch entfällt, wenn sich der arbeitslose türkische Staatsangehörige bei der Arbeitsverwaltung regulär als arbeitslos gemeldet hat. Daher ist es grundsätzlich fehlerhaft, wenn die Rechtsstellung eines türkischen Staatsangehörigen nach einer Insolvenz oder einer betriebsbedingten Kündigung unter Hinweis auf einen „unzulässigen Arbeitgeberwechsel“ als verloren angesehen wird. Ein türkischer Arbeitnehmer, der unverschuldet arbeitslos ist, muss sich, wenn er keinen neuen Arbeitsplatz in Aussicht hat, arbeitslos melden und bei einem anderen Arbeitgeber in einem anderen Beruf eine Arbeit aufnehmen. Eine andere Sichtweise führt zu dem merkwürdigen Ergebnis, dass ein arbeitsloser türkischer Staatsangehöriger sich zwar arbeitslos melden muss, um seinen Status als unverschuldeter Arbeitsloser nicht zu verlieren, er aber nicht die Arbeitsstellen annehmen kann, die ihm die Arbeitsverwaltung anbietet (eine Rückkehr zum alten Arbeitgeber kommt ja offensichtlich nicht in Betracht). Weigert sich der Arbeitslose aber, die Tätigkeit aufzunehmen, so bekommt er eine Sperrzeit und verliert seinen Anspruch nach dem Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, da er nicht mehr unverschuldet arbeitslos ist.
Ein praktisches Problem stellt sich insoweit, als die Ausländerbehörden dazu neigen, Aufenthaltserlaubnisse nach § 4 Abs. 5 AufenthG mit Beschränkungen hinsichtlich des Arbeitgebers und der Berufsausübung zu versehen. Dies ist solange unproblematisch, solange der türkische Staatsangehörige noch nicht die Anforderungen des § 9 BeschVerfV erfüllt. Hält sich der türkische Arbeitnehmer aber bereits länger als drei Jahre ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet auf oder hat er bereits zwei Jahre rechtmäßig eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeführt, so ist die Zustimmung zur Beschäftigung von der Ausländerbehörde nicht nur ohne Arbeitsmarktprüfung, sondern auch nach § 9 Abs. 4 BeschVerfV ohne Beschränkungen hinsichtlich der Ausübung der Beschäftigung zu erteilen. Dies bedeutet, dass auch im Rahmen des § 4 Abs. 5 AufenthG die Aufenthaltserlaubnis nicht mit einer Beschränkung hinsichtlich des Arbeitgebers, des Arbeitsortes oder der Arbeitszeit erfolgen darf. Die fehlerhafte Anwendung der Bestimmungen führt in der Praxis dazu, dass das Arbeitsamt eine Arbeitslosmeldung zurückweist, da der Ausländer wegen der Bedingung keinen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben scheint.
Die Rechtsprechung des EuGH steht unter Rechtsprechung/EuGH/türkische Staatsangehörige als Download zur Verfügung.