Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22.01.2010 (Az.: 3 B 2948/09) eine Entscheidung des VG Darmstadt (Az.: 5 L 557/09.DA (2)) zu den Auswirkungen einer Eheschließung eines deutschen Staatsangehörigen mit einem Drittausländer in Dänemark bestätigt.
Der HessVGH entschied: „Wird bei der Inanspruchnahme von Dienstleistungen im europäischen Ausland von der passiven Dienstleistungsfreiheit nicht mit einer gewissen Nachhaltigkeit Gebrauch gemacht, sondern stellt die Inanspruchnahme der Dienstleistungen lediglich eine untergeordnete Begleiterscheinung des eigentlichen Aufenthaltszwecks dar (hier: Heirat in Dänemark), können hieraus Freizügigkeitsansprüche nicht abgeleitet werden.“ Außerdem stellte er klar, dass die Heirat im europäischen Ausland allein keine Inanspruchnahme einer Dienstleistung, sondern die Inanspruchnahme eines Hoheitsaktes darstellt. AnmerkungEin grenzüberschreitender Sachverhalt, der die Anwendbarkeit des Freizügigkeitsrechts eröffnet, liegt entgegen dem Wortlaut des § 1 FreizügG/EU vor, wenn ein deutscher Staatsangehöriger von den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts Gebrauch macht. So hat der EuGH in der Rechtssache Carpenter darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr und die zu ihrer Durchführung erlassenen Vorschriften keine Anwendung auf Sachverhalte finden können, die keinerlei Anknüpfungspunkt zu irgendeinem der vom Gemeinschaftsrecht erfassten Sachverhalte aufweisen . In der Rechtssache Carpenter sei aber zu beachten, dass die Berufstätigkeit von Herrn Carpenter zu einem erheblichen Teil in der Erbringung von Dienstleistungen gegen Entgelt für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Anzeigenkunden bestehe. Solche Leistungen fallen sowohl dann unter den Begriff der Dienstleistungen im Sinne des Art 49 EGV (heute Art. 56 AEUV), wenn sich der Leistungserbringer zu diesem Zweck in den Mitgliedstaat des Empfängers begibt, als auch dann, wenn er die grenzüberschreitenden Leistungen erbringt, ohne aus dem Mitgliedstaat, in dem er wohnt, auszureisen .
In der Praxis sind jedoch Fälle problematisch, in denen ein deutscher Staatsangehöriger von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und anschließend in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist bzw. die grenzüberschreitende Tätigkeit eingestellt hat.
Hier sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden:
- Genießt der deutsche Staatsangehörige bei seiner Rückkehr in sein Heimatland Freizügigkeit, die er u. a. Familienangehörige als Rechtsposition weiter vermitteln kann?
- Wann erlischt ggf. diese auf Gemeinschaftsrecht beruhende Rechtsstellung?
Kurzfristige Aufenthalte, z. B. in Form eines Urlaubs oder einer Geschäftsreise in andere EU-Staaten, führen hingen nicht dazu, dass ein deutscher Staatsangehöriger den Freizügigkeitsstatus bei seiner Rückkehr in Deutschland beibehält und damit gemeinschaftsrechtliche Grundsätze auf den Familiennachzug anzuwenden sind . Auch die in der Praxis häufig vorkommende Einreise nach Dänemark zum Zwecke der Eheschließung ist bei wertender Betrachtung nicht ausreichend, um einen gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalt zu begründen, bei dem der deutsche Staatsangehörige sich in Bezug auf den Familiennachzug auf Freizügigkeit berufen könnte . Der Sachverhalt weist zwar einen gemeinschaftsrechtlichen Bezug auf, da von dem Recht auf Freizügigkeit aus Art. 18 EGV (Art. 21 AEUV) durch die entgeltliche Entgegennahme von Transportleistungen, Verpflegung usw. von der Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EGV (Art. 56 AEUV) Gebrauch gemacht wurde. Dieser gemeinschaftsrechtliche Bezug reicht zur Begründung eines gemeinschaftsrechtlichen Status des deutschen Staatsangehörigen, der dem drittstaatsangehörigen Familienangehörigen Freizügigkeit vermitteln könnte, nicht aus.
Zwar hat der EuGH in einer Reihe von Entscheidungen anerkannt, dass ein Unionsbürger, der von seiner Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch gemacht hat, bei der Rückkehr in sein Heimatland, den gemeinschaftsrechtlich Status mitnehmen kann . Gleiches gilt nach der Rechtssache Carpenter, wenn der Unionsbürger durch die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen von seinem Heimatland aus von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht. Auch in einem solchen Fall soll ein drittstaatsangehöriger Ehegatte Freizügigkeit beanspruchen können.
Jedoch ist durch die Rechtsprechung des EuGH auch geklärt, dass ein Freizügigkeit vermittelnder, grenzüberschreitender Sachverhalt voraussetzt, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben muss. Würde jegliche Form des Gebrauchmachens von dem Recht auf Freizügigkeit oder der Dienstleistungsfreiheit, sei es aus touristischen oder sonstigen Zwecken zur Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrecht in Bezug auf drittstaatsangehörige Familienangehörigen bei Rückkehr nach Deutschland führen, liefe das Recht der Nationalstaaten auf Regelung von Einreise und Aufenthalt im Falle des Ehegattennachzugs weitestgehend leer. Erforderlich ist daher eine bestimmte Qualität des Gebrauchmachens von den Unionsbürgerrechten.
Auch der EuGH erkennt das Erfordernis einer wertenden Betrachtung an, wenn er ausführt, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit „keinem relevanten Element“ über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.
Diesen wertenden Ansatz verfolgt der EuGH auch bei der Konkretisierung der Grundfreiheiten. So hat er in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 39 EGV (Art. 45 AEUV) die einschränkende Voraussetzung aufgestellt, dass als Arbeitnehmer nur angesehen werden kann, „wer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, die nicht einen so geringen Umfang hat, dass es sich um völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten handelt“ . Für das Gebrauchmachen von der Dienstleistungsfreiheit vom Inland aus hat der EuGH in der Rechtssache Carpenter einschränkend ausgeführt, dass der Unionsbürger „zu einem erheblichen Teil“ Dienstleistungen gegen Entgelt in anderen Mitgliedstaaten erbracht haben muss .
Darüber hinaus spricht auch der Schutzzweck, den der EuGH mit seiner weiten Auslegung hinsichtlich der Mitnahme des Freizügigkeitsstatus eines Inländers bei Rückkehr in das Heimatland verfolgt, gegen die Einbeziehung kurzfristiger Aufenthalte, bei denen durch Inländer von der Dienstleistungsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten Gebrauch gemacht wurde.
Der EuGH verfolgt mit seiner Rechtsprechung das Ziel, Beschränkungen der Freizügigkeit entgegenzuwirken, die dadurch entstehen können, dass ein EU-Bürger von dem Gebrauchmachen der Freizügigkeit abgehalten wird, wenn die Aussicht besteht, zum Zeitpunkt der Rückkehr in den Herkunftsstaat ein möglicherweise im Herkunftsstaat begründetes familiäres Zusammenleben nicht ungehindert fortsetzen zu können. Eine Einschränkung des Zusammenlebens oder eine Verschlechterung der Rechtsstellung des Ehegatten bei Rückkehr in den Herkunftsstaat ist geeignet, den Gemeinschaftsbürger davon abzuschrecken, sich in den Aufnahmemitgliedstaat zu begeben, um dort etwa durch Aufnahme einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis seiner Freizügigkeit nachzugehen.
So hat der EuGH in der Rechtssache Eind ausgeführt, dass ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats davon abgeschreckt werden könnte, den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verlassen, um im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben, wenn nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsmitgliedstaat ein Zusammenleben mit seinen nahen Angehörigen nicht möglich wäre. Die Hindernisse für die Familienzusammenführung können daher das Recht auf Freizügigkeit beeinträchtigen, sodass die praktische Wirksamkeit des Rechts auf Freizügigkeit dazu führt, die Rückkehr eines Gemeinschaftsarbeitnehmers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht als rein inländischen Sachverhalt zu betrachten.
Die erwähnte abschreckende Wirkung tritt indes nicht in gleicher Weise ein, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats zur Entgegennahme von Dienstleistungen, etwa im Rahmen eines touristischen Aufenthalts oder der Eheschließung, in einen anderen Mitgliedsstaat reist. Denn der Freizügigkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit ist die Rückkehr in den Herkunftsstaat nach einem vorübergehenden Aufenthalt immanent. Die Dienstleistungserbringung ist mit keinem Daueraufenthalt verbunden, sondern erfolgt im Rahmen einzelner, grundsätzlich inhaltlich und zeitlich begrenzter Tätigkeiten im Aufnahmeland. Hier besteht – anders als bei der Arbeitsaufnahme oder einer auf Dauer angelegten Dienstleistungserbringung in einem anderen Mitgliedstaat – nicht in gleicher Weise das Bedürfnis, die Rückkehr in den Heimatstaat durch Mitnahme der Freizügigkeitsrechtsstellung abzusichern. Der EU-Bürger, der sich zu touristischen Zwecken, einer Geschäftsreise oder ähnlich kurzfristigen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, kann nicht auf eine Verbesserung seiner Rechtsstellung bei Rückkehr in sein Heimatland vertrauen. Er steht daher nicht zu erwarten, dass er davon abgehalten würde, von seiner passiven Dienstleistungsfreiheit oder seiner Rechte aus Art 18 EGV (Art. 21 AEUV) Gebrauch zu machen.
Kommt es seitens eines deutschen Staatsangehörigen durch nachhaltiges Gebrauchmachen von Freizügigkeitsrechten zu einer Mitnahme der Rechtsstellung eines EU-Bürgers, so besteht diese nicht unbefristet. Die Freizügigkeitsrechtsstellung eines deutschen Staatsangehörigen erlischt unter entsprechender Anwendung der Erlöschenstatbestände des § 4a VI, VII FreizügG/EU, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg von der Freizügigkeit kein Gebrauch gemacht wird.
Wird im Rahmen der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung eine Freizügigkeitsrechtsstellung erworben, so erlischt diese, wenn die Tätigkeit über einen Zeitraum von zwei aufeinanderfolgenden Jahren nicht weitergeführt wird. Gleiches gilt für Fälle, in denen die Freizügigkeit des deutschen Staatsangehörigen auf der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Art 18 EGV (Art. 21 AEUV) beruht.
Einschränkungen erfährt die Anwendung des Erlöschenstatbestandes mit Blick auf die oben dargelegte Schutzwirkung. Hat der deutsche Staatsangehörige Familienangehörige, den er Freizügigkeit vermittelt, so würde das Erlöschen der eigenen Rechtsstellung als Freizügigkeitsberechtigter zu einem Verlust des Aufenthaltsrechts führen können, sofern die Voraussetzungen für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht noch nicht vorliegen. In diesem Fall wird jedenfalls in Bezug auf diese Familienangehörigen von einem Fortbestehen der Rechtsstellung als Freizügigkeitsberechtigter auszugehen sein. Andernfalls wäre das drohende Erlöschen der Rechtsstellung nach Rückkehr nach Deutschland geeignet, einen deutschen Staatsangehörigen davon abzuhalten, mit seinen Familienangehörigen in das Bundesgebiet zurückzukehren. Die damit verbundene drohende Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigt die Aufrechterhaltung der Rechtsstellung über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus.
Haben die Familienangehörige ein eigenständiges gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben, so besteht keine Notwendigkeit mehr, an der „fiktiven“ Aufrechterhaltung der Freizügigkeitsrechtsstellung eines deutschen Staatsangehörigen.
Familienangehörige, die nach Ablauf von zwei Jahren in das Bundesgebiet gelangen bzw. einreisen wollen, können sich nicht mehr auf die Rechtsstellung des Deutschen berufen, auch wenn diese in Bezug auf etwa den Ehegatten weiterhin als fortbestehend angesehen wird.
Zu dieser Thematik sei auf die Kommentierung von Holger Winkelmann in der Rubrik Beiträge verwiesen. Die Kommentierung fasst die wesentliche Rechtsprechung zur "Dänemark-Ehe" zusammen. Das umfangreiche Dokument ist wie gewohnt mit einer Lesezeichenfunktion ausgestattet.
Der Überarbeitungsstand ist der 05.02.2010. Die Änderungen sind gelb hervorgehoben (Beschluss VGH Baden-Württemberg - 11 S 2181/09 - Beschl. v. 25.01.2010)
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Dr. Dienelt