Großbritannien trotz Sicherheitsbedenken für EU-Beitritt der Türkei

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Türkische Mafiagruppen stellen eine erhebliche Bedrohung für die innere Sicherheit der EU dar. Dennoch sei es langfristig gesehen erheblich riskanter, der Türkei den EU-Beitritt zu verweigern, meinen britische Parlamentarier.

Der Innenausschuss des britischen Unterhauses hat am 1. August 2011 einen Bericht zu den Auswirkungen des EU-Beitritts der Türkei auf den Bereich Justiz und Inneres (englisch) veröffentlicht. In dem Bericht zeigen sich die britischen Innenexperten beeindruckt von der Effizienz und Leistungsfähigkeit der türkischen Nationalpolizei und den Bemühungen der türkischen Behörden, mit den EU-Partnern beim Kampf gegen die Organisierte Kriminalität zu kooperieren.

Mafiaaktivitäten in der Türkei Die britischen Parlamentarier verweisen auf den jüngsten Europol-Bericht, wonach die EU-Staaten von der Organisierten Kriminalität türkischer Banden oder von in der Türkei agierenden kriminellen Netzwerken betroffen sind. Demnach sind türkische Mafiagruppen maßgeblich an verschieden Formen der Organisierten Kriminalität beteiligt. Dazu zählt der Heroinschmuggel aus Afghanistan nach Europa, von synthetischen Drogen in den Nahen Osten und von Kokain nach Europa. Die Türkei ist zudem ein wichtiges Drehkreuz für illegale Einwanderung. Europol-Direktor Rob Wainwright bekräftigt in dem Bericht, dass "die kriminellen Aktivitäten, die von der Türkei ausgehen oder die Türkei durchqueren, erhebliche Auswirkungen auf die innere Sicherheit der EU haben".

Risiken an der türkischen Grenze

Ein Beitritt der Türkei würde die EU-Außengrenze deutlich verschieben und verlängern.
Die Türkei grenzt an Georgien (276 km), Armenien (328 km), Azerbaijan (18 km), Irak (384 km), Iran (560 km) und Syrien (911 km). Die Seegrenzen
betreffen das Schwarze Meer (1.762 km) das Ägäische Meer und das Mittelmeer (4.768 km).
"Falls die Türkei der EU beitritt, würde die EU-Außengrenze auf Länder erweitert, die wie Syrien, Iran und Irak ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellen, etwa als Quelle massiver illegaler Einwanderung", heißt es in dem Bericht. Daher müsse die EU sehr strenge Bedingungen zur Grenzsicherheit festlegen, die von der Türkei vor einem EU-Beitritt nachweislich erfüllt werden müssten. Es sei daher angemessen, dass ein Teil der EU-Heranführungshilfe auf die Entwicklung eines modernen und effektiven Grenzmangementsystems verwendet werde.

Instrument für Heranführungshilfe 2002-2013

Der EU-Beitrittskandidat Türkei erhält von der EU jährlich mehrere hundert Millionen Euro, um seine Gesetze und Standards auf EU-Niveau zu bringen. Eine der sieben Prioritäten dieses "Instruments für Heranführungshilfe" (IPA) betrifft den Bereich Justiz, Inneres und Grundrechte.

Für die Türkei wurden aus diesem EU-Topf folgende Gelder eingeplant:

  • 2002: 126 Millionen Euro
  • 2003: 145,1 Millionen Euro
  • 2004: 236,7 Millionen Euro
  • 2005: 277,7 Millionen Euro
  • 2006: 450 Millionen Euro
  • 2007: 497,2 Millionen Euro
  • 2008: 538,7 Millionen Euro
  • 2009: 566,4 Millionen Euro
  • 2010: 653,7 Millionen Euro
  • 2011: 781,9 Millionen Euro
  • 2012: 899,5 Millionen Euro
  • 2013: 935,5 Millionen Euro

Risiken eines verweigerten EU-Beitritts

Trotz aller Sicherheitsrisiken an der türkischen Grenzen bezüglich illegaler Einwanderung und Drogenschmuggel sehen die britischen Parlamentarier langfristig potenziell mehr Risiken für die innere Sicherheit der EU, falls der Türkei der EU-Beitritt verweigert wird. "Falls der Türkei ein EU-Beitritt verweigert wird, fürchten wir das Risiko, dass die türkischen Behörden den Anreiz verlieren könnten, vorrangig gegen Kriminalität vorzugehen, die andere EU-Mitgliedsstaaten viel mehr betreffen als die eigene Bevölkerung", schreiben die britischen Abgeordneten. Sie verweisen darauf, dass der türkische Drogenmarkt nicht groß ist und die meisten Einwanderer nicht in der Türkei bleiben, sondern in EU-Länder weiterreisen wollen. Ein EU-Beitritt der Türkei hätte dagegen den Vorteil, dass die türkischen Behörden EU-Standards umsetzen müssten und verstärkt mit der europäischen Polizeibehörde Europol zusammenarbeiten würden, heißt es in dem Bericht. Bereits jetzt seien die türkischen Behörden deutlich effektiver als die anderer EU-Staaten, wie etwa Griechenland.

Probleme an türkisch-griechischer Grenze

Der Innenausschuss weist darauf hin, dass die Landgrenze zwischen Griechenland und der Türkei derzeit das Hauptschlupfloch für illegale Einwanderung in die EU sei. Die Zahl der in der Türkei festgenommen Menschenschmugglern ist seit 2010 deutlich zurückgegangen:

  • 2005: 834 Festnahmen
  • 2006: 951 Festnahmen
  • 2007: 1.242 Festnahmen
  • 2008: 1.305 Festnahmen
  • 2009: 1.027 Festnahmen
  • 2010: 750 Festnahmen
  • 2011 (bis Februar): 8 Festnahmen

Ein Grund dafür ist die unzureichende Zusammenarbeit zwischen der türkischen Polizei und Behörden einiger Mitgliedsstaaten. Während die Zusammenarbeit mit britischen und deutschen Behörden sehr gut sei, sei die Kooperation mit Frankreich besonders schwach, heißt es in dem Bericht.
Nach Angaben der türkischen Nationalpolizei werden die Migranten zunächst über Iran, Irak oder Syrien in die Türkei gebracht. Nach einem Zwischenstopp in Istanbul oder Izmir werden die Migranten dann weiter über die Grenze nach Griechenland geschmuggelt. Griechenland, Großbritannien, Deutschland und Italien seien dabei die häufigsten Zielländer der illegal in die EU Eingewanderten.

 Quelle: EurActiv.de vom 03.08.2011