Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein

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Der freie Personenverkehr zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist die konkreteste und sichtbarste Errungenschaft der europäischen Integration der vergangenen 60 Jahre. Er hat den EU-Bürgern, den Mitgliedstaaten und der europäischen Volkswirtschaft insgesamt große Vorteile verschafft. Die Menschen in der EU nutzen ihr Recht auf Freizügigkeit tagtäglich. So unternehmen sie als Touristen jährlich rund 1,25 Mrd. Reisen innerhalb der EU. Eine unlängst durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass das Recht, sich innerhalb der Europäischen Union frei zu bewegen und aufzuhalten, für 48% der befragten Europäer eines der wichtigsten Bürgerrechte ist (siehe Pressemitteilung Nr. 14/2011).

Die Europäische Kommission setzt alles daran, dass die EU-Vorschriften über den freien Personenverkehr in allen Mitgliedstaaten auch wirklich angewandt werden. So achtet sie genauestens auf die Umsetzung der EU-Freizügigkeitsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (2004/38/EG), damit die EU-Bürger ihre Rechte uneingeschränkt wahrnehmen können. Mehrere Ereignisse im vergangenen Jahr haben große Probleme bei der Beachtung der in der in dieser Richtlinie festgelegten verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Garantien zu Tage gefördert (siehe MEMO/10/384; SPEECH/10/428; IP/10/1207; MEMO/10/502). Die Kommission ist daher tätig geworden, um sicherzustellen, dass alle 27 Mitgliedstaaten den Unionsbürgern die uneingeschränkte Wahrnehmung der EU-Freizügigkeitsrechte gewähren.

Ein Jahr später kann die Kommission dank eines nicht nachlassenden politischen Drucks konkrete Ergebnisse vorweisen: 16 Mitgliedstaaten haben entweder die Bedenken der Kommission vollständig ausgeräumt oder ihre Rechtsvorschriften so geändert, dass sie nunmehr die Richtlinie voll und ganz anwenden. Gegen die übrigen Mitgliedstaaten hat die Kommission Vertragsverletzungsverfahren nach den EU-Verträgen eingeleitet bzw. erwägt deren Einleitung.

 

„Das Recht auf freien Personenverkehr gehört zu den Rechten, die den EU-Bürgern am stärksten am Herzen liegen" erklärte die Vizepräsidentin der EU-Kommission Viviane Reding, die für das Ressort Justiz zuständig ist. „Ich möchte sicherstellen, dass alle EU-Bürger ihr Recht auf freien Freizügigkeit wahrnehmen können. Die Ereignisse im letzten Sommer waren ein Weckruf für Europa. Die Kommission wird nicht zögern, ihre Stimme zu erheben, wenn Mitgliedstaaten dieses Grundrecht und insbesondere die verfahrensrechtlichen Garantien, die die EU-Bürger vor willkürlicher oder unverhältnismäßiger Ausweisung schützen sollen, nicht ordnungsgemäß anwenden. Ich freue mich, heute feststellen zu können, dass die meisten Mitgliedstaaten die EU-Freizügigkeitsvorschriften in vollem Umfang umgesetzt haben. Ich erwarte, dass die übrigen Länder diesem Beispiel rasch folgen. Die Europäische Kommission wird wachsam bleiben, bis alle Mitgliedstaaten die rechtlichen Bedenken der Kommission in vollem Umfang ausgeräumt haben.“

Seit dem Sommer 2010 hat die Kommission in insgesamt 786 Fällen Mängel festgestellt, die sie in bilateralen Sitzungen mit den Mitgliedstaaten besprochen hat. Die Kommission hat eindeutig zu verstehen gegeben, dass die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren unausweichlich ist, wenn die Mängel nicht behoben werden. In der Folge konnten die Probleme in 711 Fällen (etwa 90%) durch Gespräche und/oder durch Vorlage von Gesetzesänderungen behoben werden.  Lediglich 75 Fälle sind noch nicht abgeschlossen und derzeit Gegenstand von Vertragsverletzungsverfahren.  Im Falle Frankreichs hat die Regierung am 16. Juni die von der Kommission geforderten Gesetzesänderungen angenommen, mit denen die Einhaltung der Freizügigkeitsrichtlinie gewährleistet wird. Dazu gehört auch die Annahme der Bestimmungen, die die EU-Bürger gegen willkürliche Ausweisungen oder diskriminierende Behandlung schützen sollen.  Die Kommmission arbeitet mit den übrigen Ländern weiterhin an der Behebung der noch ausstehenden Probleme bei der Einreise und dem Aufenthalt von Familienangehörigen, den Aufenthaltskarten für Drittstaatsangehörige und den Garantien gegen Ausweisungen.

In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sind einige Mitgliedstaaten möglicherweise versucht, Maßnahmen zu ergreifen, die diskriminierende Auswirkungen auf EU-Bürger oder ihre Familienangehörigen haben. Doch ist in der EU-Freizügigkeitsrichtlinie dafür gesorgt, dass die EU-Bürger ihr Recht auf freien Personenverkehr ausüben können, ohne dadurch die Mitgliedstaaten finanziell unverhältnismäßig zu beanspruchen. Somit gibt es diesbezüglich keinerlei Veranlassung für die Mitgliedstaaten, im Alleingang zu handeln.

Die Kommission ist fest entschlossen, die noch verbleibenden Hindernisse (siehe Bericht über die Unionsbürgerschaft vom Oktober 2010), denen sich die EU-Bürger gegenüber sehen, zu beheben. Die schrittweise Aufhebung der EU-Binnengrenzen für Waren, Dienstleistungen und Personen hat den Unternehmen und den Bürgern riesige Vorteile verschafft. Zwischen 2004 und 2007 ist das Bruttoinlandsprodukt der EU aufgrund der erhöhten Mobilität der Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten um rund 40 Mrd. EUR gestiegen. Die EU muss auf diesen Errungenschaften aufbauen, damit jeder, vom Touristen bis zum Studenten und vom Arbeitnehmer bis zum Kleinunternehmer, die Vorzüge des europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wirklich nutzen kann.


Hintergrund

Am 25. August 2010 äußerte sich Vizepräsidentin Reding folgendermaßen zu den Freizügigkeitsrechten von EU-Bürgern: „Es gibt keinen Zweifel daran, dass jemand, der gegen das Gesetz verstößt, die Konsequenzen seines Handelns tragen muss. Genauso wenig gibt es keinen Zweifel daran, dass niemand von Ausweisung bedroht sein sollte, nur weil er Roma ist“ (siehe MEMO/10/384).

Stand der Umsetzung der EU-Freizügigkeitsrichtlinie

Bis Ende 2010 hatten Portugal und Finnland die Bedenken der Kommission in  bilateralen Gesprächen ausgeräumt, nachdem im Vorfeld die angesprochenen Themen abgeklärt oder Rechtsvorschriften verabschiedet worden waren, die die Einhaltung der Richtlinie gewährleisten. Seitdem haben 14 weitere Mitgliedstaaten (Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Luxemburg, die Niederlande, Rumänien, Slowakei, Slowenien und Ungarn) Gesetzentwürfe vorgelegt, einschließlich eines genauen Zeitplans für deren rasche Verabschiedung und Inkrafttreten, um die uneingeschränkte Einhaltung der Freizügigkeitsrichtlinie zu gewährleisten. Derzeit prüft die Kommission noch Details der geplanten oder unlängst verabschiedeten Gesetze Dänemarks und der Niederlande. Aufgrund nicht ausgeräumter Probleme mit den übrigen Mitgliedstaaten wurden im Zeitraum März bis Juni 2011 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, Litauen, Malta, Österreich, Polen, Schweden, Spanien, die Tschechische Republik, das Vereinigte Königreich und Zypern eingeleitet. Die Kommission prüft derzeit, wie sich der freie Personenverkehr in Belgien gestaltet.

Es sind im Wesentlichen drei Bereiche, in denen die Freizügigkeitsrichtlinie unzureichend oder nicht korrekt umgesetzt und durchgeführt wird: Einreise und Aufenthalt von Familienangehörigen, einschließlich Lebenspartnern; Ausstellung von Visa und Aufenthaltskarten für Familienangehörige aus Drittstaaten und Garantien gegen Ausweisungen.

Die nächsten Schritte

Die Kommission wird aufmerksam verfolgen, wie diejenigen Mitgliedstaaten, die die Verabschiedung von Gesetzentwürfen angekündigt haben, ihre Zusagen erfüllen. 2012 wird sie die Umsetzung und Anwendung der Freizügigkeitsrichtlinie in allen Mitgliedstaaten prüfen. Die auf diese Weise erhobenen Daten werden 2013 in einen Bericht einfließen, der dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt werden wird.

Stand der Integration der Roma

Am 5. April 2011 legte die Kommission einen Vorschlag für einen EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma vor (IP/11/400, MEMO/11/216). Der EU-Rahmen soll als Richtschnur für die einzelstaatlichen Roma-Integrationskonzepte dienen und Grundlage für die Bereitstellung von EU-Mitteln zur Unterstützung der Integrationsbestrebungen sein. Er beruht auf vier Säulen: Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraum. Die Mitgliedstaaten sollen sich selbst, je nach Größe ihrer Roma-Bevölkerung und dem aktuellen Stand ihrer Integrationspolitik, Integrationsziele setzen. Nach der Annahme des EU-Rahmens sagte Vizepräsidentin Reding: „Am wichtigsten ist meines Erachtens, dass die Mitgliedstaaten etwas dafür tun, dass alle Roma-Kinder zumindest die Grundschule abschließen.“


Auch im vergangenen Jahr hat die Kommission eng mit den Mitgliedstaaten zusammengearbeitet, um die Nutzung der Strukturfonds, namentlich des Europäischen Sozialfonds, zur Förderung der Eingliederung der Roma zu erleichtern. In Ungarn, Bulgarien, der Slowakei und Rumänien wurden bilaterale Seminare veranstaltet, auf denen die Teilnehmer sich über bewährte Vorgehensweisen und Erfahrungen bei erfolgreichen Projekten des ESF austauschen konnten.

Am 24. Juni 2011 billigte der Europäische Rat den von der Kommission vorgelegten EU-Rahmen für nationale Strategien zur Integration der Roma (IP/11/789). Bis Ende 2011 müssen die Regierungen der 27 Mitgliedstaaten der Kommission ihre nationalen Strategien vorlegen. Anschließend bewertet die Kommission gemeinsam mit der EU-Agentur für Grundrechte die Pläne und erstattet im nächsten Frühjahr darüber Bericht.

Im Sommer dieses Jahres gewann das von der Europäischen Union mitfinanzierte Filmprojekt 'Colorful but Colorblind' zur Bekämpfung von Vorurteilen gegen Roma einen Preis der Society of Professional Journalists, einem US-amerikanischen Journalistenverband (siehe IP/11/978).

Weitere Informationen:

Generaldirektion Justiz - Presseraum:

http://ec.europa.eu/justice/news/intro/news_intro_en.htm

Homepage von Vizepräsidentin und EU-Justizkommissarin Viviane Reding

http://ec.europa.eu/reding

Quelle: Presserklärung der Kommission vom 25.08.2011