GENF ? Am 29. März 2005 hat die UNO-Flüchtlingsbehörde UNHCR eine detaillierte Stellungnahme zur geplanten Asylverfahrens-Richtlinie, über die die Europäische Union im April 2004 Einigkeit erzielt hatte, abgegeben. Diese Richtlinie bestimmt, wie Entscheidungen über Asylanträge zu treffen sind und sie setzt Mindeststandards für Verfahren innerhalb der 25 Staaten umfassenden EU.
Nach der in naher Zukunft zu erwartenden Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu der Richtlinie soll diese Richtlinie vom EU-Rat formell angenommen werden.
UNHCR-Sprecher Ron Redmond teilte auf einer Pressekonferenz in Genf mit, dass wenn einige der Richtlinienbestimmungen ohne zusätzliche Absicherungen in das nationale Recht der einzelnen Staaten umgesetzt werden, führe dies zu einer Verletzung von völkerrechtlichen Verbindlichkeiten. Er sagte außerdem, der UNHCR widme den Regelungen besondere Aufmerksamkeit, die sich mit der Bestimmung von sog. ?sicheren? Ländern und solchen Regelungen, nach denen EU-Staaten gewisse Kategorien von Asylsuchenden abschieben können, ohne Ihren Asylantrag zu hören oder aufzunehmen. Redmond sagte, dass die in der Presseerklärung vom 30.4.2004 geäußerten Bedenken des UNHCR gegen die Richtlinie weiter Bestand hätten. Nunmehr hat der UNHCR seine Stellungnahme jedoch in einem 59-seitigen Bericht und einer fünfseitigen Zusammenfassung dieses Berichtes niedergelegt. Ingesamt sind darin 96 Bemerkungen zu einzelnen Artikel oder Absätzen des Richtlinienentwurfs enthalten.
Nach Ansicht des UNCHR sollte die Anwendung des ?sicheren Drittlands?-Konzepts beschränkt werden und eine effektivere Möglichkeit eröffnet werden, die Vermutung der ?Sicherheit? eines Landes zu erschüttern. Der UNHCR äußert sich besorgt, dass nach der Richtlinie nicht allen Asylbewerbern die Möglichkeit offen steht, die Vermutung, dass ein bestimmtes Land sicher ist, im Einzelfall zu widerlegen.
Keinem Bewerber sollte der Zugang zu einem Asylverfahren verweigert werden ? auch nicht denjenigen Menschen, die aus einem vom Parlament als ?sicheren Drittland? eingestuften Land einreisen. Angesichts des Mangels von verfahrensrechtlichen Standards für Rechtsmittel gegen die Entscheidung und der Tatsache, dass die Richtlinie keine Suspensivwirkung vorsieht, d.h. dass die Abschiebung für die Zeit der Verfahrensüberprüfung nicht ausgesetzt ist, sieht der UNHCR eine große Gefahr, dass die UN Flüchtlingskonvention und andere internationale Abkommen verletzt werden.
Während nach der Richtlinie wenigstens geprüft werden soll, ob die Bewerber in ihrem Herkunftsland der Gefahr der Folter oder der unmenschlichen, grausamen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, ist nach Völkerrecht auch zu untersuchen, ob individuelle Gefahren bestehen, die über diese Minimum hinaus gehen, einschließlich der drohenden Verfolgung aus den Gründen, die in der UN Flüchtlingskonvention 1951 niedergelegt sind.
Der UNHCR weist darauf hin, dass keine Absicherungen für das spezifische ?sichere Drittlands?-Verfahren vorgesehen sind. Der Zugang zum Asylverfahren (und zum Staatsgebiet) mag in derartigen Fällen verweigert werden. Dies mag vielfach durch Grenzbeamte erfolgen, die nicht die notwendigen Qualifikationen verfügen, die das Erfassen der Voraussetzungen des internationalen Flüchtlingsschutzes ermöglichen. Der UNHCR wiederholt deshalb, dass die tatsächliche Möglichkeit bestehen muss, dass Asylsuchende alle Gründe vorbringen, die einen anderen Staat als ?nicht sicher? erscheinen lassen und dass diese Gründe von der jeweiligen Behörde berücksichtigt werden, bevor eine Abschiebung erfolgt.
Außerdem sollte die Verfahrensbeschleunigung auf Fälle des eindeutigen Missbrauchs oder der eindeutigen Unbegründetheit beschränkt sein. Der UNHCR erkennt an, dass alle Parteien ein Interesse an einem effizienten wie auch fairen Asylverfahren haben. Gleichwohl zeigt sich der UNCHR besorgt, dass Artikel 23 Abs.4 der geplanten Richtlinie die Beschleunigung in einer Vielzahl von Fällen ermöglicht. Dies sei danach auch aus Gründen möglich, die nichts mit der Begründetheit des Anspruchs zu tun hätten. So sehe die Richtlinie vor, dass Anträge allein deshalb beschleunigt behandelt werden können, weil der Bewerber es unterlassen hat, seinen Antrag so früh wie möglich zu stellen oder weil er formellen Anforderungen nicht entsprochen hat. Ebenfalls kann ein Antrag beschleunigt zurückgewiesen werden, wenn er widersprüchliche Angaben gemacht hat oder wenn er nicht ausreichende Informationen über seine Identität angegeben hat. Viele dieser Fälle werde nicht in die Kategorie des ?eindeutigen Missbrauchs? oder der ?belegten Unbegründetheit? fallen, d.h. dass Anträge derart offensichtlich unbegründet sind, dass sie nicht der vollen Überprüfung bedürfen, wie der UNHCR-Exekutivausschuss in seiner Erklärung Nr. 30 (XXXIV) aus dem Jahre 1993 definiert.
Eine weitere Schlüsselforderung des UNCHR besteht darin, dass dieselben Mindestverfahrensgarantien für alle Asylantragsprüfungen gleichermaßen gelten sollten. Dies schließe das Recht auf rechtlichen Beistand und Vertretung ein. Diese Rechte sind nach der geplanten Richtlinie erheblichen Einschränkungen unterworfen und gelten nur unter der Voraussetzung des Widerspruchs gegen eine negative Entscheidung.
Der UNHCR bedauert, dass die Richtlinie den Bewerbern nur den Aufenthalt während des erstinstanzlichen Verfahrens gestattet und den Mitgliedsstaaten Ermessen einräumt, inwieweit ein Rechtsmittel aufschiebende Wirkung haben soll und inwiefern Ausnahmen eingreifen. Der UNHCR fordert die Staaten dazu auf sicherzustellen, dass zumindest das nationale Recht einen derartigen Suspensiveffekt für Rechtsmittel gegen ablehnende Asylentscheidungen solle.
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