EU-Osterweiterung, Beschränkungen der Freizügigkeit, Sozialhilfetourismus

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LONDON/BRÜSSEL/BERLIN - Ein Jahr nach der EU-Osterweiterung hat sich im Vereinigten Königreich die vielfach geäußerte Befürchtung, es könnten ?Horden von Sozialhilfeempfängern? aus den zehn neuen Beitrittsstaaten Einzug halten, nicht bestätigt. Vielmehr stellt sich zumeist heraus, dass wertvolle Arbeitskräfte gewonnen werden konnten.
In Deutschland und den meisten Staaten der EU-15 bleibt der Arbeitsmarkt für Arbeitskräfte aus den acht neuen, osteuropäischen Staaten Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und der Slowakei während einer Übergangszeit von maximal sieben Jahren verschlossen. Auch danach ist mit keinem permanenten Einwanderungsstrom von Arbeitsmigranten zu rechnen.
Großbritannien, Irland und Schweden sind die einzigen der ?alten? EU-Staaten, die nach der am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Osterweiterung für Arbeitnehmer aus den acht neuen, osteuropäischen Staaten keine Einreise- und Einwanderungsbeschränkung aufgestellt haben. Alle anderen Staaten haben ihre nationalen Arbeitmärkte zunächst für eine gewisse Zeit vor den ?Horden billiger Arbeitskräfte? geschützt. In Deutschland gilt dabei die maximal zulässige Wartefrist von sieben Jahren. Bis zum Jahre 2011 können Arbeitnehmer aus diesen neuen Beitrittsstaaten daher noch nicht von ihrem Freizügigkeitsrecht nach Deutschland Gebrauch machen.
Vor der EU-Erweiterung waren von der britischen Boulevard-Presse angeheizt vielfach Befürchtungen geäußert worden, ein Großteil der Bürger aus den neuen Mitgliedsstaaten werde allein mit dem Ziel einreisen, Sozialleistungen zu erhalten.
Medienberichte indizieren jedoch, dass die Ängste sich nicht bestätigen, nach denen es zu einem ?Sozialhilfe-Tourismus? kommen könne.
Allerdings ist die Zahl von neu-europäischen Arbeitsmigranten in den Ländern, die ihre Arbeitsmärkte geöffnet haben, gestiegen. Nach Angaben von ?Manpower?, einer der weltgrößten Arbeitsvermittlungsagenturen, beschäftigen im Vereinigten Königreich mittlerweile sieben Prozent der Arbeitgeber eine Arbeitskraft aus einem neuen EU-Staat.
Das britische Innenministerium sagte, dass zwischen Mai und Dezember 2004 rund 133.000 Personen aus den acht osteuropäischen Beitrittsländern eine Arbeitsgenehmigung in Großbritannien beantragt haben. Diese Zahl ist höher als ursprünglich von der britischen Regierung erwartet; sie ist dennoch vergleichsweise gering, wenn man die absolute Zahl der Arbeitnehmer und der im letzten Jahr verfügbaren freien Stellen heranzieht.
Hauptziel der Arbeitsmigranten war die Hauptstadt London, wo die Einwanderer vor allem in Hotels, in der Gastronomie sowie in der Baubranche Arbeit gefunden haben.
In Deutschland bestehen vor allem Ängste, billige Arbeiter aus dem Osten Europas könnten in Massen einreisen und zu einem Lohndumping auf dem ohnehin schwachen deutschen Arbeitsmarkt verleiten. Viele Experten erwarten jedoch, dass es wie schon beim Beitritt von Griechenland im Jahre 1981 sowie Spanien und Portugal im Jahre 1986 nicht zu einer Arbeitsmigration im großen Stile kommen wird. Trotz der bestehenden Einkommensunterschiede, die auch im Jahre 2011 noch zwischen der EU-15 und den im Jahre 2004 hinzugekommenen Mitgliedsstaaten bestehen werden, ist dies auch 2011 nicht zu erwarten. Die Erfahrung mit Griechenland, Spanien und Portugal hat gezeigt, dass zudem viele derjenigen, die in der Ferne Arbeit gesucht haben, nach Hause zurückgekehrt sind, nachdem die wirtschaftlichen Möglichkeiten in ihren Herkunftsländern gewachsen waren.
Freizügigkeitsrechte bieten nicht nur die Möglichkeit aus einem EU-Land in ein anderes einzuwandern und auf dessen Arbeitsmarkt Arbeitskraft anzubieten. Freizügigkeitsrechte bieten auch eine gute Möglichkeit, wieder nach Hause zurück zu kehren, wenn Migranten dies wünschen. Tatsächlich kehren viele Migranten nicht in ihre Herkunftsländer zurück, weil sie nicht sicher sind, ob sie in ihrer alten Heimat wirtschaftlich bestehen können. Würden sie allerdings Deutschland oder ihren jeweiligen Aufnahmestaat verlassen, verlören sie vielfach ihr Rückkehrrecht. Die Rückkehrentscheidung ist daher ein großes Risiko, dessentwegen sich viele Migranten scheuen, wieder in ihrer Heimat zu arbeiten. Die spätestens im Jahre 2011 geltende Freizügigkeit in Europa schafft solche Ängste ab. Kommt der wirtschaftliche Aufschwung in Osteuropa kann jeder polnische, lettische oder litauische Staatsangehörige zurück in sein Geburtsland, um dort Arbeit zu suchen, ohne bedenken zu müssen, damit seinen Zugang zum deutschen, belgischen oder italienischen Arbeitsmarkt zu verlieren.
Somit bleibt abzuwarten, wie sich der europäische Arbeitsmarkt entwickeln wird, nachdem alle Zugangsbeschränkungen für die neuen Mitgliedsstaaten weggefallen sind. Doch schon jetzt lässt sich sagen: Übertriebene Ängste und Sorgen vor einer permanenten Überflutung des deutschen Arbeitsmarktes mit Billigkräften sind nicht gerechtfertigt.
Daniel Naujoks
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