Der Europäische Gerichtshof hat am 21. September 2006 in seinem Urteil C-168/04 in der Rechtssache Kommission gegen Österreich beschlossen, dass die österreichischen Vorschriften über die Entsendung der Arbeitnehmer gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoßen.
Mit ihrer Klageschrift beantragte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Republik Österreich dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen hat, dass sie mit § 18 des österreichischen Ausländerbeschäftigungsgesetzes vom 20. März 1975 (AuslBG, BGBl I 218/1975) in seiner im BGBl I 120/1999 bekannt gemachten Fassung und § 10 Abs 1 Z 3 des Fremdengesetzes vom 14. Juli 1997 (FrG, BGBl I 75/1997) in seiner im BGBl I 34/2000 bekannt gemachten Fassung die Entsendung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung in unverhältnismäßiger Weise einschränkt.
Sachverhalt: Klage der Kommission gegen die österreichischen Regelungen über die Entsendung von Drittstaatsangehörigen
Nachdem die Kommission eine Beschwerde wegen Unvereinbarkeit der österreichischen Regelung über die Entsendung von Drittstaatsangehörigen mit der in Artikel 49 EG garantierten Dienstleistungsfreiheit erhalten hatte, richtete sie am 14. Juli 1997 ein Mahnschreiben an die Republik Österreich. Darin legte sie dar, dass die nach der damaligen österreichischen Regelung erforderliche Entsende- und Aufenthaltsbewilligung eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels darstelle. Insbesondere rügte sie die inhaltlichen Voraussetzungen der Entsendebewilligung sowie den Umstand, dass ein Aufenthaltstitel im Fall einer sichtvermerksfreien Einreise des ausländischen Arbeitnehmers nach Österreich automatisch versagt werde. Die österreichische Regierung bestritt im Verfahren nicht, dass § 18 AuslBG und § 10 FrG Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs darstellten. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere die Urteile vom 25. Oktober 2001 in den Rechtssachen C‑49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98 und C-68/98 bis C-71/98 (Finalarte u. a., Slg. 2001, I-7831) und vom 24. Januar 2002 in der Rechtssache C-164/99 (Portugaia Construções, Slg. 2002, I-787), machte sie jedoch geltend, dass diese Beschränkungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien, nämlich im Fall des § 18 AuslBG durch Gründe des Schutzes der Arbeitnehmer und im Fall des § 10 FrG durch solche der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Diese Rechtsvorschriften seien insoweit den mit ihnen verfolgten Zielen angemessen.
Die beanstandeten österreichischen Vorschriften machten die Entsendung eines Drittstaatsangehörigen durch ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen von der Einholung einer „EU-Entsendebestätigung“ abhängig. Diese wurde nur erteilt, wenn der betreffende Arbeitnehmer seit mindestens einem Jahr bei dem betreffenden Unternehmen beschäftigt war oder mit diesem einen unbefristeten Arbeitsvertrag geschlossen hatte und darüber hinaus die Einhaltung der österreichischen Beschäftigungs- und Lohnbedingungen sowie sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen nachgewiesen wurden.
Entscheidung des EuGH: Unzulässige Behinderung der Dienstleisungsfreiheit
Wie bereits in der Rechtssache Vander Elst C-43/93 hat der Gerichtshof in der Einholung einer „EU-Entsendebestätigung“ eine Behinderung der Dienstleistungsfreiheit gesehen, da der damit verbundene Verwaltungsaufwand die Erbringung von Dienstleistungen für Unternehmen erschwere.
Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Artikel 49 EG nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. insbesondere Urteil Portugaia Construções, Randnr. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine nationale Regelung, die in einem Bereich erlassen worden ist, der nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene ist, und die unterschiedslos für alle im betreffenden Mitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gilt, kann jedoch trotz ihrer den freien Dienstleistungsverkehr beschränkenden Wirkung gerechtfertigt sein, wenn sie auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruht und dieses Interesse nicht schon durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist, und wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, ohne über das hinauszugehen, was zu dessen Erreichung erforderlich ist (vgl. Urteile vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C‑369/96 und C‑376/96, Arblade u. a., Slg. 1999, I‑8453, Randnrn. 34 und 35, sowie Portugaia Construções, Randnr. 19).
Es ist festzustellen, dass die automatische Versagung der Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen ein rechtmäßig entsandter drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer ohne Sichtvermerk in das österreichische Staatsgebiet einreist, außer Verhältnis zu dem mit ihr angestrebten Ziel steht. Daraus folgt, dass die Republik Österreich gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen hat, indem sie zum einen die Entsendung drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer durch ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen von der Einholung der „EU-Entsendebestätigung“ nach § 18 Abs 12 bis 16 AuslBG abhängig macht, die nur erteilt wird, wenn erstens der betreffende Arbeitnehmer seit mindestens einem Jahr bei dem betreffenden Unternehmen beschäftigt ist oder mit diesem einen unbefristeten Arbeitsvertrag geschlossen hat und zweitens die Einhaltung der österreichischen Beschäftigungs- und Lohnbedingungen nachgewiesen wird, und indem sie zum anderen in § 10 Abs 1 Z 3 FrG die automatische und ausnahmslose Versagung einer Einreise- oder Aufenthaltserlaubnis vorsieht, wodurch eine nachträgliche Legalisierung der Situation drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer, die von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen rechtmäßig entsandt worden sind, aber ohne Sichtvermerk in das Staatsgebiet eingereist sind, nicht möglich ist.
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