Die Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EuGH
Das Ebook zu aktuellen Fragen des Aufenthaltsrechts türkischer Staatsangehöriger, 1. Band, befasst sich mit den Rechtspositionen zu Art. 6 und 7 ARB 1/80. Ausführlich wird die Entstehung der Rechtspositionen dargestellt: Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, Strafhaft und Unterbrechungen werden ebenso erläutert wie die Rechtsstellung während eines Antrag auf Verlängerung eine Aufenthaltserlaubnis. Außerdem wird die aktuelle Rechtssprechung zum Erlöschen der Rechtspositionen behandelt.Das eBook zum Ausländerrecht steht Mitgliedern zum kostenfreien Download bereit. Nichtmitglieder können das Buch hier bestellen: eBook Ausländerrecht ARV 1-80
Ebook: pdf-Dokument 86 Seiten (500kb)
Autor: Dr. Klaus Dienelt
Preis: 11,90 € per Überweisung (enthält 19% MwSt)
Aus dem Vorwort
Die Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts verdeutlicht sich an der Rechtsstellung türkischer Staatsangehöriger. Gerade in den letzten zwei Jahren hat der Europäische Gerichtshof wichtige Entscheidungen zu der Rechtsstellung nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 getroffen, die in dieses Skript eingearbeitet wurden. Auch wenn das Assoziierungsabkommen bereist mehr als 40 Jahre alt ist, zeigt die Anzahl der noch ausstehenden Vorabentscheidungen des Gerichtshofs, dass eine Klärung aller Fragen bis heute nicht erreicht werden konnte.
Am 12. September 1963 wurde das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (heute: EG) und der Türkei geschlossen (im Folgenden: Assoziierungsabkommen) und mit Gesetz vom 13. Mai 1964 (BGBl. II S. 510) verkündet. Das Abkommen nebst dem Zusatzprotokoll vom 23. November 1970 (BGBl. 1972 II S. 385/1973 II S. 113) verfolgt das langfristige Ziel, die Türkei über eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitik und die Errichtung einer Zollunion (seit 1. Januar 1996) auf einen Beitritt zur Europäischen Union vorzubereiten. Auch wenn ein Beitritt derzeit nicht absehbar ist – ein erstes Beitrittsgesuch ist im Jahre 1990 abgelehnt worden – hat das Assoziierungsabkommen nebst dem Zusatzprotokoll die Rechtslage für türkische Staatsangehörige nachhaltig verbessert. Das Assoziierungsabkommen von 1963 nennt in den Art. 12 bis 14 nur allgemein die Ziele der Assoziierung und legt die Leitlinien für ihre Verwirklichung fest, ohne dass diesen Regelungen selbst unmittelbare Wirkung zukommen würde. Hinsichtlich der Verwirklichung der Personenverkehrsfreiheit türkischer Arbeitnehmer eröffnet Art. 36 des Zusatzprotokolls dem nach den Art. 6 und 22 des Assoziierungsabkommens errichteten Assoziationsrat die verfahrensrechtliche Möglichkeit, Regelungen zur Erreichung der Arbeitnehmerfreizügigkeit festzulegen.
Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Assoziationsrat am 20. Dezember 1976 zunächst den Beschluss Nr. 2/76 (im Folgenden: ARB 2/76) erlassen, der nach seinem Art. 1 eine erste Stufe bei der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen der Gemeinschaft und der Türkei bildete. Dieser Beschluss, der durch den Beschluss Nr. 1/80 (im Folgenden: ARB 1/80) vom 19. September 1980 ersetzt wurde, ist heute wieder wegen der in Art. 7 ARB 2/76 enthaltenen Standstill-Klausel für Arbeitnehmer bedeutsam geworden; hinsichtlich der übrigen Bestimmungen ist er durch den nachfolgenden Beschluss Nr. 1/80 abgelöst worden.
Das mit dem Beschluss Nr. 1/80 verbundene Ziel, die Verbesserung der Rechtsstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen im sozialen Bereich (vgl. die dritte Begründungserwägung), ist erreicht worden. Dabei kam insbesondere der Auslegung der Bestimmungen durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs besondere Bedeutung zu. Erst sie bewirkte letztlich die heute bestehende deutliche Verbesserung des arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Status türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen. Der Europäische Gerichtshof sieht in den sozialen Bestimmungen des Kapitels II des ARB 1/80, zu denen auch die unten besprochenen Art. 6 und 7 gehören, einen weiteren durch die Art. 48, 49 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 39 und 40 EG) und Art. 50 EG-Vertrag (jetzt Art. 41 EG) geleiteten Schritt zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen (EuGH, U. v. 30.09.1997 – Rs. C-98/96 –, Ertanir, Slg. I 1997, 5179 = DVBl. 1997, 1377 = InfAuslR 1997, 434 = AuAS 1997, 266 = EZAR 811 Nr. 36 = EuZW 1998, 533). Jedoch genießen türkische Staatsangehörige keine Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft, sondern sie haben nur bestimmte Rechte in dem Aufnahmemitgliedstaat, sofern sie die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 und/ oder des Art. 7 ARB 1/80 erfüllen.
Die Art und Weise, mit der der Assoziationsrat die ihm übertragene Aufgabe der Herstellung der vollen Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei herzustellen sucht, entspricht der nach der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingeschlagenen Verfahrensweise zur Schaffung der vollen Freizügigkeit der EG-Arbeitnehmer. Denn auch 1961 wurde die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht sofort, sondern in mehreren Schritten hergestellt. An diesen Regelungen, die insbesondere in der heute nicht mehr gültigen Verordnung Nr. 15 über die ersten Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 16.08.1961 (im folgenden: VO 15/61/EWG) zum Ausdruck gekommen sind, dürfte sich der Assoziationsrat orientiert haben; sie sind daher für Auslegungsfragen auch heute noch durchaus bedeutsam.
Insgesamt sind folgende Normierungen des Assoziationsrechts für das Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger besonders praxisrelevant:
- Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.09.1963 (BGBl. 1964 II S. 510), am 01.12.1964 in Kraft getreten.
- Zusatzprotokoll zum Abkommen EWG/Türkei vom 23.11.1970 (BGBl. 1972 II S. 385/1973 II S. 113), am 01.01.1973 in Kraft getreten.
- ARB 1/80 vom 19.09.1980, am 01.07.1980 in Kraft getreten. Nach Art. 16 ARB 1/80 sind aber die Bestimmungen des Kapitels II, Abschnitt 1. erst ab dem 01.12.1980 anwendbar.
Der auf dem Abkommen basierende Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats lässt nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen (EuGH, U. v. 16.12. 1992 – Rs. C-237/91 –, Kus, Slg. 1992 I, 6781 = EuZW 1993, 96 = InfAuslR 1993, 41 = NVwZ 1993, 258 = DVBl. 1993, 307 = BayVBl. 1993, 307). Die Bestimmungen regeln daher die Rechtsstellung türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, die bereits rechtmäßig in das Bundesgebiet gelangt sind. Dabei kommt insbesondere Art. 6 ARB 1/80 in der ausländerrechtlichen Praxis besondere Bedeutung zu, da die Bestimmung die Stellung der türkischen Arbeitnehmer, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats eingegliedert sind, regelt. Diese Bestimmung sowie Art. 7 ARB 1/80, der sich mit der Rechtsstellung von Familienangehörigen befasst, bilden einen integrierenden Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung und haben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbare Wirkung. Türkische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen der genannten Vorschriften erfüllen, können sich deshalb unmittelbar auf die Rechte berufen, die ihnen die einzelnen Bestimmungen gewähren. Ihrem Wortlaut nach regeln Art. 6 und Art. 7 ARB 1/80 zwar nur die beschäftigungsrechtliche und nicht die aufenthaltsrechtliche Stellung türkischer Staatsangehörige; beide Aspekte sind jedoch nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs eng miteinander verbunden, so dass türkischen Staatsangehörigen, die die Voraussetzungen der genannten Artikel erfüllen, zwangsläufig ein Aufenthaltsrecht zusteht, weil sonst das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf Ausübung einer Beschäftigung völlig wirkungslos wäre (EuGH, U. v. 20.09.1990 – Rs. C-192/89 –, Sevince, Slg. I 1990, 3461 = EuZW 1990, 479 = NVwZ 1991, 255 = InfAuslR 1991, 2; U. v. 16.12.1992 – Rs. C-237/91 –, Kus, a.a.O.; U. v. 05.10.1994 – Rs. C-355/93 –, Eroglu, Slg. I 1994, 5113 = DVBl. 1994, 1402 = InfAuslR 1994, 385 = EZAR 814 Nr. 4 = NVwZ 1995, 53 = AuAS 1995, 26 = BayVBl. 1995, 462). Die Untersuchung wird zeigen, dass die Feststellung des Vorliegens der Rechtspositionen nicht immer einfach ist. Dies gilt insbesondere für Fälle der Arbeitslosigkeit und der Strafhaft.