Verlust des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts nach längerem Auslandsaufenthalt

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Ein türkischer Staatsangehöriger verliert sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht, wenn er das Bundesgebiet verlässt und über ein Jahr bei seiner Familie in der Türkei lebt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 25.03.2015 (BVerwG 1 C 19.14) entschieden.

Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste erstmalig im Juli 1988 in das Bundesgebiet zu seiner türkischen Ehefrau, die als Arbeitnehmerin beschäftigt war. Nach Scheidung der Ehe heiratete er erneut. Da seine zweite Ehefrau Deutschland mit dem gemeinsamen Sohn nach einem erfolglosen Asylverfahren verlassen musste und auch kein Visum zum Familiennachzug erhielt, reiste der Kläger Anfang Oktober 2004 in die Türkei und hielt sich dort bis Ende März 2006 bei seiner Familie auf.

Nach erneuter Einreise in das Bundesgebiet stellte die Ausländerbehörde fest, dass der Kläger sein Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 durch den fast 18-monatigen Auslandsaufenthalt verloren habe und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Klage abgewiesen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) erlösche das Aufenthaltsrecht, wenn der Assoziationsberechtigte das Gebiet des Mitgliedstaates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlasse. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei zur Konkretisierung in zeitlicher Hinsicht nicht auf die Zweijahresfrist des Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie), sondern auf die für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige in Art. 9 Absatz 1 Buchst. c der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthaltsrichtlinie) geregelte Frist von 12 aufeinanderfolgenden Monaten abzustellen.

Der 1. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt und die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zur Konkretisierung des Zeitraumes, ab dem ein türkischer Staatsangehöriger sein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht zu verlieren droht, kann entgegen der Auffassung der Revision nicht die Zweijahresfrist der Unionsbürgerrichtlinie herangezogen werden. Denn der EuGH betont im Zusammenhang mit der anderen Fallgruppe des Erlöschens assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, dass das Assoziationsabkommen EWG - Türkei nur wirtschaftliche Zwecke verfolge (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 - Ziebell). Demgegenüber formt die Unionsbürgerrichtlinie über rein wirtschaftliche Zwecke hinaus die Unionsbürgerschaft mit ihren unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren Rechten der Unionsbürger aus, sich in jedem Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten. Mit dieser starken Rechtsstellung ist die eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nicht vergleichbar. Daher liegt es nahe, bei dieser Personengruppe die Maßstäbe der Daueraufenthaltsrichtlinie als unionsrechtlichen Bezugsrahmen nicht nur für die Bestimmung des Abschiebungsschutzes heranzuziehen. Für das Erlöschen nach einer Ausreise ist aber maßgeblich, ob der Betroffene das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat. Für die Konkretisierung dieses Erlöschensgrundes kommt der 12-Monatsfrist des Art. 9 Abs. 1 Buchst c der Daueraufenthaltsrichtlinie eine gewichtige Indizwirkung für die rechtsvernichtende Verlagerung des Lebensmittelpunkts zu.

So nachvollziehbar die Gründe des Klägers für seinen fast eineinhalbjährigen Aufenthalt bei seiner Familie in der Türkei erscheinen, erweisen sie sich doch aus dem Blickwinkel des Assoziationsrechts als nicht gerechtfertigt. Denn Art. 7 ARB 1/80 bezweckt die Förderung der dauerhaften Integration des Familienangehörigen durch Verschaffung eines autonomen Arbeits- und Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat. Durch Aufgabe seines Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet und den über einjährigen Auslandsaufenthalt hat der Kläger den erreichten Integrationszusammenhang jedoch selbst zerrissen.

Anmerkung

Die Entscheidung des Senats erscheint im Hinblick auf die Anwendung der Daueraufenthaltsrichtlinie konsequent, nachdem der EuGH mit der Ziebell-Entscheidung die Rechte türkischer Staatsangehöriger, die die Rechtsstellung aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 erlangt haben, dort ableitet. Der Sachverhalt wirft gleichwohl die Frage auf, was unter dem europarechtlich auszulegenden Begriff „berechtigte Gründe" zu verstehen ist. Ob ein Grund „berechtigt" ist, hängt, wie die Urteilsgründe in anderen Amtssprachen nahe legen (französisch: „sans motifs légitimes", englisch: „without legitimate reason", italienisch: „senza motivi legittimi" und spanisch: „sin motivos legítimos"), allein davon ab, ob die Gründe des türkischen Staatsangehörigen „legitim", also allgemein gesellschaftlich anerkannt sind, mithin nicht, ob sie aus dem subjektiven Blickwinkel des türkischen Staatsangehörigen berechtigt erscheinen. Es kommt daher darauf an, ob die Gründe ihrer Abwesenheit von Deutschland von der Allgemeinheit anzuerkennen oder eher zu missbilligen sind (Einzelheiten siehe Kommentierung zum ARB 1/80 mwN).

Maßgeblich dürfte es hier auf die Frage ankommen, ob die Trennung der Familie nicht das Ergebnis rechtswidrigen Verwaltungshandeln war. Sollten die Familienangehörigen aufgrund der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 einen Anspruch auf Nachzug zu dem Stammberechtigten Arbeitnehmer gehabt haben, so wäre die Vermeidung einer Trennung der Familie in der sicherlich Ausfluss eines legitimen Zweckes.

Mainz, 4.4.2015

Dr. Dienelt