BVerwG: Assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht für türkische Arbeitnehmer mit geringfügiger Beschäftigung

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Das BVerwG hat mit Urteil vom 19.04.2012 (BVerwG 1 C 10.11) im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH entschieden, dass auch ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis mit einer geringen Wochenarbeitszeit türkischen Staatsangehörigen ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht vermitteln kann.

Der Entscheidung liegt der Fall einer inzwischen 45-jährigen türkischen Staatsangehörigen zugrunde, die Mitte 2000 im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kam. Ihr wurde wegen ihrer Ehe mit einem türkischen Staatsangehörigen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nach Trennung von ihrem Ehemann nahm die Klägerin im Juni 2004 eine geringfügige Beschäftigung als Raumpflegerin im Umfang von 5 ½ Wochenstunden auf. Ihren Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde im Februar 2008 wegen des Bezugs ergänzender Leistungen nach dem SGB II ab. Während des gerichtlichen Verfahrens erweiterte die Klägerin das Beschäftigungsverhältnis im Mai 2008 auf zehn Wochenstunden. Seitdem erhält sie auch keine Sozialleistungen mehr.

Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (Urt. v. 04.02.2010 - C-14/09) zur Auslegung des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation – ARB Nr. 1/80 – verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis auszustellen, weil sie nach dieser Bestimmung ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben habe. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung bestätigt.

Das BVerwG hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BVerwG steht der Klägerin aufgrund ihrer langjährigen geringfügigen Beschäftigung als Arbeitnehmerin ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1, 3. Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 zu. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Klägerin trotz der Wochenarbeitszeit von zunächst 5 ½ Stunden und des vorübergehenden ergänzenden Bezugs öffentlicher Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts als Arbeitnehmerin im Sinne dieser Bestimmung anzusehen. Der Arbeitnehmerbegriff sei nach der Rechtsprechung des EuGH unionsrechtlich auszulegen. Arbeitnehmer sei jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen ausübt und hierfür eine Vergütung erhält. Dabei blieben Tätigkeiten außer Betracht, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Die hierfür erforderliche Gesamtbewertung fiel zu Gunsten der Klägerin aus. Dabei war neben der vereinbarten Wochenarbeitszeit von zunächst 5 ½, später zehn Stunden auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin die Beschäftigung im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bei demselben Reinigungsunternehmen seit fast sieben Jahren ausübte und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von Anfang an Anspruch auf den Tariflohn und weitere tarifvertragliche Vergünstigungen hatte.

Quelle: Presseerklärung des BVerwG