Nach § 24 Abs. 1 AufenthG „wird einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der Richtlinie 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt wird und der seine Bereitschaft erklärt hat, im Bundesgebiet aufgenommen zu werden, [...] für die nach den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie bemessene Dauer des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis erteilt“.
Die Schutzgewährungs- bzw. Massenzustrom-RL 2001/55/EG wurde mit Beschluss der EU-Innenminister vom 03.03.2022 im Hinblick auf diejenigen Menschen erstmals aktiviert, die vor dem am 24.02.2022 begonnenen Angriff Russlands auf die Ukraine fliehen. Der entsprechende Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates vom 04.03.2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20.07.2001 und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (ABl. L 71/1 vom 04.03.2022) regelt die Einzelheiten. Insbesondere sieht er die Aufnahme nicht nur von Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit und deren Familienangehörigen vor, sondern auch von Staatenlosen bzw. Drittstaatsangehörigen, die in der Ukraine internationalen oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben oder sich aus anderen Gründen rechtmäßig dort aufgehalten haben, wie z. B. Studierende. Höchstgrenzen enthält der Durchführungsbeschluss ebenso wenig wie Quoten oder Verteilungsschlüssel auf einzelne Mitgliedstaaten (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 24 AufenthG, Rn. 16, 17, vgl. auch VG Dresden, Beschluss vom 3.11.2022 – 3 L 644/22 –, juris, Rn. 13).
Drittstaatsangehörige mit befristetem Aufenthaltsrecht, die sich in der Ukraine vor dem 24.02.2022 aufgehalten haben, sind jedoch keine anspruchsberechtigten Personen nach Art. 2 des Durchführungsbeschlusses.
Als anspruchsberechtigte Person i.S.d. Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 gelten
- ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24.02.2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten
- Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24.02.2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und
- Familienangehörige der unter den Buchstaben a und b genannten Personen.
Drittstaatsangehörige mit befristetem Aufenthaltsrecht, die sich in der Ukraine vor dem 24.02.2022 aufgehalten haben, sind auch keine anspruchsberechtigten Personen i.S.d. Art. 2 Abs. 2 des Durchführungsbeschlusses.
Demnach sind auch Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anspruchsberechtigt, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24.02.2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren.
Fehlt es an einem unbefristeten Aufenthaltstitel, können die Personen nur von Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses erfasst werden.
Art. 2 Abs. 3 des Durchführungsbeschlusses begünstigt drittstaatsangehörige Ausländer mit einem befristeten Aufenthaltsrecht in der Ukraine aber nicht unmittelbar. Vielmehr können die Mitgliedstaaten gem. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Solche Entscheidungen binden jedoch nur den großzügiger handelnden Mitgliedstaat und nicht die anderen Mitgliedstaaten, so dass die Regelungen zur innergemeinschaftlichen Solidarität nach Art. 7 Abs. 2 i.V.m. Art. 24, Art. 25 und Art. 26 der Richtlinie 2001/55/EG keine Anwendung finden. Eine nationale Erweiterung des begünstigten Personenkreises erfordert eine gesetzliche Regelung, wobei über § 23 Abs. 2 und 3 AufenthG eine im Benehmen mit den obersten Landesbehörden getroffene und als Verwaltungsvorschrift wirkende Anordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen in einem ersten Schritt eine einzelfallbezogene Aufnahmezusage erteilt, möglich erscheint (ebenso Dietz, Kriegsvertriebene aus der Ukraine, NVwZ 2022, 505 [506], der jedoch auf eine Aufnahmezusage nach § 23 Abs. 4 AufenthG abstellt.).
Das Länderrundschreiben des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat vom 05.09.2022 i.d.F. vom 20.09.2022 erfüllt diese Voraussetzungen nicht (a.A. wohl VGH Mannheim, Beschluss v. 26.10.2022 – 11 S 1467/22 – Rn. 26, juris). Auch wenn auf Seite 6 des genannten Länderschreibens vom 05.09.2022 in der Fassung vom 20.09.2022 die Personengruppe begünstigt wird,
„Die Mitgliedstaaten können sonstigen Staatenlosen und nicht-ukrainischen Staatsangehörigen, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können, ebenfalls Schutz gewähren. Deutschland setzt diese Vorgabe in der folgenden Weise um. [...] Vorübergehenden Schutz nach § 24 AufenthG erhalten nicht-ukrainische Drittstaatsangehörige, wenn diese sich am 24. Februar 2022 nachweislich rechtmäßig, und nicht nur zu einem vorübergehenden Kurzaufenthalt, in der Ukraine aufgehalten haben und sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.“
vermag der Erlass die notwendige gesetzliche Rechtsgrundlage nicht zu ersetzen.
Die Bundesrepublik Deutschland von der Öffnungsklausel Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2001/55/EG auch nicht durch Erlass von § 2 der Verordnung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen in der Fassung vom 07.03.2022 (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung, im Folgenden: UkraineAufenthÜV) Gebrauch gemacht (so aber wohl VG Aachen, Beschluss vom 26.08.2022 - 8 L 527/22 - juris Rn. 28 f.). Denn hiermit wurde lediglich die Rechtmäßigkeit der Einreise und des Aufenthalts der von der Vorschrift erfassten Ausländer geregelt, nicht aber vorübergehender Schutz im Sinne des Durchführungsbeschlusses bzw. der Massenzustromrichtlinie gewährt. Nach § 2 Abs. 1 der Verordnung zur vorübergehenden Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels von anlässlich des Krieges in der Ukraine eingereisten Personen (Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung) sind
„Ausländer, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und die bis zum 30. November 2022 in das Bundesgebiet eingereist sind, [...] ohne den für einen langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen, für einen Zeitraum von 90 Tagen ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit“.
Ein erforderlicher Aufenthaltstitel kann von diesen Personen im Bundesgebiet eingeholt werden (§ 3 Satz 1 Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung). Im Übrigen gilt die Befreiung nach § 2 Abs. 1 der Verordnung nur, solange keine ablehnende Entscheidung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels getroffen wurde (§ 2 Abs. 3 Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung).
Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass Drittausländer aus der Ukraine mit befristetem Aufenthaltsrecht keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG haben.
Link zu den gesetzlichen Regelungen
Mainz, 14. Februar 2023