Die scharfe Kritik von Flüchtlingsorganisationen blieb wirkungslos: Nachdem sich Anfang Juni die Innenminister der 27 EU-Staaten auf die seit Jahren umstrittene Abschiebe-Richtlinie geeinigt hatten, hat auch das EU-Parlament der Richtlinie zugestimmt. Gegen das Vorhaben stimmten Grüne, Kommunisten und ein Teil der Sozialisten. Die Richtlinie muss nun noch formell vom Ministerrat abgesegnet werden, was in Kürze geschehen soll. Anschließend haben die EU-Staaten zwei Jahre Zeit, um die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.
Die Abschiebe-Regeln sehen unter anderem vor, dass Menschen ohne gültige Papiere vor einer Abschiebung in ihre Herkunftsländer bis zu 18 Monate in Haft genommen werden können. Außerdem ist in bestimmten Fällen ein Wiedereinreiseverbot für fünf Jahre möglich.
Für Minderjährige ohne Begleitung Erwachsener sowie Familien mit Kindern soll die Abschiebehaft nur die "letzte Alternative" sein. Die EU-Staaten werden außerdem verpflichtet, Kindern "Zugang zur Bildung" zu gewähren. Minderjährige können allerdings auch in Länder abgeschoben werden, wo sie keine Familie haben - falls es dort "geeignete Einrichtungen" gibt.
Hintergrund
In ihrer Mitteilung vom 15. November 2001 über eine gemeinsame Politik auf dem Gebiet der illegalen Einwanderung verwies die Kommission darauf, dass die Rückkehrpolitik ein fester und überaus wichtiger Bestandteil der Maßnahmen zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung ist. Die drei Grundvoraussetzungen für eine Rückkehrpolitik sind: gemeinsame Grundsätze, gemeinsame Normen und gemeinsame Maßnahmen. In ihrem Grünbuch über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen vom 10. April 2002 ging die Kommission ausführlicher auf die Frage der Rückführung als festem Bestandteil einer umfassenden Einwanderungs- und Asylpolitik der Gemeinschaft ein. Die Mitgliedstaaten müssten sich in Fragen der Rückführung einander annähern und besser untereinander kooperieren. In dem Grünbuch wurden einige Punkte genannt, die ein künftiger Legislativvorschlag zu gemeinsamen Normen enthalten könnte, um eine breite Debatte unter allen Beteiligten auszulösen.
Die hieran anschließende Mitteilung der Kommission vom 14. Oktober 2002 über eine Gemeinschaftspolitik zur Rückkehr illegal aufhältiger Personen entwarf unter Berücksichtigung der Ergebnisse der öffentlichen Anhörung ein konkretes Programm für weitere Aktionen, wobei besonderer Wert auf einen ganzheitlichen Ansatz gelegt wurde. In der Mitteilung heißt es wörtlich: „Ihre Wirkung wird sie [die Gemeinschaftspolitik] aber nur voll entfalten können, wenn sie sich harmonisch in den Kontext einer echten Steuerung des Migrationphänomens einfügt; dies setzt eine eindeutige Konsolidierung der Kanäle der legalen Einwanderung und der Situation legaler Einwanderer, eine großzügige, effiziente Asylregelung mit raschen Verfahren, die Zugang zu echtem Schutz für die Personen bietet, die ihn brauchen, sowie einen verstärkten Dialog mit den Drittländern voraus, die in Migrationsfragen mehr und mehr in eine Partnerschaft eingebettet werden müssen.“ Auf der Grundlage dieser Mitteilung verabschiedete der Rat dann sein Aktionsprogramm vom 28. November 2002, in dem er eine bessere praktische Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander, eine engere Kooperation mit Drittstaaten und die Erarbeitung gemeinsamer Normen mit dem Ziel einer leichteren Rückführung einforderte.
Schließlich nahm sich der Europäische Rat auf seiner Tagung in Brüssel am 4./5. November 2004 in dem von ihm verabschiedeten Haager Programm des Themas an; darin wird ausdrücklich die Erarbeitung gemeinsamer Normen gefordert, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung ihrer Menschenrechte und Menschenwürde zurückgeführt werden. Die Kommission sollte hierzu bis Anfang 2005 einen Vorschlag ausarbeiten.
Mit dem vorliegenden Vorschlag kommt die Kommission dieser Aufforderung nach. Sein Zweck besteht darin, klare, transparente und faire gemeinsame Normen in Fragen der Rückführung und Abschiebung, zum Einsatz von Zwangsmaßnahmen, zur vorläufigen Gewahrsamnahme und zur Wiedereinreise aufzustellen, die den Menschenrechten und Grundfreiheiten der betroffenen Personen in vollem Umfang Rechnung tragen.
Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten hat dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie sich auf ein gemeinsames Verständnis der Schlüsselfragen stützt. Deshalb sollten gemeinsame Normen erarbeitet werden, durch die die Tätigkeit der beteiligten Dienststellen erleichtert und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten gefördert wird. Langfristig wird damit der Grundstein für eine angemessene und abgestimmte Behandlung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger gelegt, ungeachtet dessen, welcher Mitgliedstaat das Rückführungsverfahren durchführt.
Bestehende einschlägige Rechtsvorschriften
Im Nachgang zu dem Aktionsplan vom November 2002 wurden zahlreiche legislative und sonstige Maßnahmen verabschiedet : Erste Meilensteine auf der gesetzgeberischen Ebene im Bereich der Rückführung sind die Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg und die Entscheidung 2004/573/EG des Rates vom 29. April 2004 betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen.
Die Richtlinie 2001/40/EG über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen bildet zusammen mit der Entscheidung 2004/191/EG zur Festlegung der Kriterien und praktischen Einzelheiten zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte die rechtliche Grundlage für die gegenseitige Anerkennung von Ausweisungsbeschlüssen.
Was die finanzielle Seite betrifft, hat die Kommission innerhalb des Rahmenprogramms „Solidarität und Steuerung der Migrationsströme“ die Einrichtung eines Europäischen Rückkehrfonds für den Zeitraum 2008-2013 vorgeschlagen - KOM(2005) 123 vom 6. April 2005). Bis dahin soll dieses Finanzinstrument durch vorbereitende Maßnahmen funktionsfähig gemacht werden.
Zusammenfassung der Maßnahmen
Eine wirkungsvolle Rückführungspolitik ist ein notwendiger Bestandteil einer durchdachten und glaubwürdigen Migrationspolitik. Es bedarf einer Einigung auf klare, transparente und gerechte Vorschriften, die dieser Notwendigkeit Rechnung tragen und zugleich die Menschenrechte und Grundfreiheiten des jeweiligen Betroffenen achten. Der vorliegende Vorschlag will diese Ziele auf folgende Weise erreichen:
1. Als feste Regel soll gelten, dass der illegale Aufenthalt im Wege eines fairen und transparenten Verfahrens beendet wird.
2. Der Grundsatz der freiwilligen Rückkehr soll dadurch gefördert werden, dass in der Regel eine „Frist für die Ausreise“ eingeräumt wird.
3. Durchweg soll ein harmonisiertes zweistufiges Verfahren gelten: zunächst die Entscheidung über die Rückführung und – sollte dies nicht ausreichen – im zweiten Schritt dann der Erlass einer Abschiebungsanordnung, womit die derzeit divergierenden Verfahrensweisen der Mitgliedstaaten bis zu einem gewissen Grad einander angeglichen würden.
4. Es muss eine Regelung für den Fall gefunden werden, dass sich Personen unrechtmäßig im Land aufhalten, aber (noch) nicht abgeschoben werden können.
5. Es sollen verfahrensrechtliche Mindestgarantien eingeführt werden.
6. Zwangsmaßnahmen sollen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verknüpft und seltener zum Einsatz kommen; gleichzeitig sollen Mindestverhaltensregeln für den Fall einer erzwungenen Rückkehr aufgestellt werden.
7. Einzelstaatliche Rückführungsmaßnahmen sollen eine europäische Dimension erhalten, indem ein EU-weit gültiges Wiedereinreiseverbot ausgesprochen wird.
8. Kooperatives Verhalten soll belohnt werden (z. B. durch die Aussicht auf Aufhebung eines Wiedereinreiseverbots), während mangelnde Kooperationsbereitschaft sanktioniert werden soll (z. B. durch Verlängerung des Wiedereinreiseverbots).
9. Im Falle einer ernsthaften Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sind die Interessen des Staates zu wahren (z. B. durch eine mögliche Ausdehnung des Wiedereinreiseverbots).
10. Das Mittel der vorläufigen Gewahrsamnahme soll nur begrenzt zum Einsatz kommen und an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geknüpft werden.
11. Es sollen Mindestverhaltensregeln für den Fall einer vorläufigen Gewahrsamnahme aufgestellt werden.
12. Es sollen die Fälle geregelt werden, in denen ein Drittstaatsangehöriger, der Gegenstand einer Abschiebungsanordnung oder Rückführungsentscheidung eines Mitgliedstaats ist, in einem anderen Mitgliedstaat aufgegriffen wird.