Der EuGH hat in der Rechtssache Gülbahce (C-268/11) am 8. November 2012 entschieden, dass Art. 6 Abs. 1, 1. Spiegelstrich ARB 1/80 dahin auszulegen ist, dass er die zuständigen nationalen Behörden daran hindert, den Aufenthaltstitel eines türkischen Arbeitnehmers rückwirkend auf den Zeitpunkt, zu dem der Grund weggefallen war, von dem das nationale Recht die Erteilung dieses Titels abhängig machte, zurückzunehmen, wenn der Arbeitnehmer keine Täuschung begangen hat und die Rücknahme nach Ablauf des in Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich genannten Zeitraums von einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung erfolgt.
Mit der Entscheidung hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine Rücknahme oder eine rückwirkende Befristung eines Aufenthaltstitels nicht mehr möglich ist, wenn der türkische Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Rücknahme- bzw. Befristungsentscheidung bereits den 1. Spielgelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht hat. Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht zu keinem Zeitpunkt vorlagen oder bereits in der Erwerbsphase des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 entfallen sind. Eine Ausnahme gilt nur für Täuschungsfälle, wie etwa Scheinehen.
Wichtiger sind aber einige Ausführungen, die der Gerichtshof zu den Auswirkungen des Besitzes einer unbefristeten Arbeitserlaubnis machte:
"Außerdem stand ihm nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 AEVO sowie nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 5 ArGV ein Aufenthaltsrecht zu, das ihm seit dem 29. September 1998, an dem ihm das zuständige Arbeitsamt eine unbefristete Arbeitsgenehmigung erteilt hatte, die freie Ausübung einer Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis erlaubte. Das vorlegende Gericht hat hierzu ausgeführt, es sei nicht festgestellt worden, dass er sein Recht auf Einreise nach und Aufenthalt in Deutschland durch eine Täuschung erlangt hätte."
Hier wird deutlich, dass der EuGH davon ausgeht, dass aus alten Arbeitserlaubnissen nach wie vor Aufenthaltsrechte abgeleitet werden können. Eine dogmatische Begründung findet sich in der Entscheidung aber erneut nicht, sodass weitere Vorlagen erforderlich sein werden. Es ist zu kritisieren, dass sich der Gerichtshof nun zum wiederholten Mal weigert, die Grundsätze des Verhältnisses des Arbeitsgenehmigungsrechts zum Aufenthaltsrecht zu klären.
Im Hinblick auf diese Ausführungen, die nicht entscheidungsrelevant sind, muss in Altfällen geprüft werden, ob türkische Staatsangehörige im Besitz einer unbefristeten Arbeitserlaubnis waren. Diese kann heute noch - entgegen der Rechtsprechung des BVerwG - Grundlage für Aufenthaltsrechte sein.