Die EU-Kommission hat in der Rechtssache Demir (C-225/12) mit schriftlicher Erklärung vom 3. September 2012 zum Anwendungsbereich der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 ausgeführt, dass diese Bestimmung auf jede neue, nach dem 1. Dezember 1980 eingeführte materiell- und oder verfahrensrechtliche Voraussetzung für die erste Zulassung anwendbar ist, die eine Verschärfung einer früheren Situation darstellt. Hierbei sind weder der Umstand, dass diese neue Bedingung teilweise darauf abzielt, die illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt vor Einreichung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu bekämpfen, noch der Umstand, dass der türkische Arbeitnehmer nicht alle materiellen Voraussetzungen und/oder Verfahrensbedingungen erfüllt, relevant. Mit dieser Stellungnahme ist die gegenteilige Auffassung des BVerwG als europarechtliche Zweifelsfrage dem EuGH zur Klärung vorzulegen.
In der Rechtssache Demir geht es maßgeblich um das Merkmal des ordnungsgemäßen Aufenthalts und um die Frage, ob jegliches nicht rechtmäßige Verhalten eines türkischen Arbeitnehmers bei der Einreise zur Folge hat, dass ihm eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert werden kann.
Sofern Art. 13 ARB 1/80 ebenso wie Art. 41 Zusatzprotokoll auch auf die erstmalige Einreise Anwendung finden würde, so hätte dies zur Folge, dass die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug entfallen würden und minderjährige türkische Kinder visumfrei nach Deutschland reisen könnten.
Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Zusatzprotokoll auszulegen sind. Sie unterstreicht, dass der Gerichtshof diese Frage in den Randnrn. 54 und 55 seines Urteils vom 9. Dezember 2010 in den verbundenen Rechtssachen C-300/09 und C-301/09, Toprak und Oguz positiv beantwortet hat:
54. Die übereinstimmende Auslegung der von Art. 41 des Zusatzprotokolls und Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 verfolgten Ziele führt zu der Feststellung, dass sich die Tragweite der Stillhalteverpflichtung gemäß Art. 13 dieses Beschlusses entsprechend auf sämtliche neuen Hindernisse für die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit erstreckt, die eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen darstellen.
55. Es muss daher auch gewährleistet sein, dass sich die Mitgliedstaaten nicht von dem verfolgten Ziel entfernen, indem sie von Bestimmungen abgehen, die sie in ihrem Gebiet nach Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 zugunsten der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer erlassen haben."
Sie kommt zu folgender Schlussfolgerung: Art 13 ARB 1/80 ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung auf jede nach dem 1. Dezember 1980 eingeführte materiell- und/oder verfahrensrechtliche Voraussetzung für die erstmalige Aufnahme anwendbar ist, die eine Verschärfung einer früheren Situation darstellt.
Eine nichtamtliche Übersetzung der Stellungnahme findet sich unter der Rubrik Rechtsprechung/EuGH /Stellungnahmen der Kommission