Familiennachzug zu türkischen Arbeitnehmern wird durch Stillhalteklausel begünstigt

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Mit seinen Schlussanträgen vom 20. Januar 2016 hat der Generalanwalt Mengozzi in der Rechtssache C-561/14 (Genc-II) die Auffassung vertreten, dass ein türkischer Arbeitnehmer sich auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen könne, wenn der Nachzug seines Kindes nachträglich von strengeren Integrationsvoraussetzungen abhängig gemacht wird.

Der Generalanwalt legt dar, dass nachträgliche Verschärfungen des Familiennachzugs von der Stillhalteklausel erfasst werden, da hierdurch die Rechtsstellung des Arbeitnehmers nachteilig verändert werden könnte, wenn ihm nicht die Möglichkeit gegeben werde, mit seiner Familie zusammenzuleben. Damit werden alle nachträglichen Integrationsvoraussetzungen, wie etwa Spracherfordernisse, von der Stillhalteklausel erfasst.

Generalanwalt Mengozzi führt weiter aus, dass die Gewährleistung einer erfolgreichen Integration einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstelle, der geeignet sei, die Rechte, die aus der Anwendung der Stillhalteklausel aus dem nationalen Recht abgeleitet werden könnten, zu beschränken. Für die Anerkennung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses habe der Gerichtshof keine sonderlich strengen Maßstäbe angelegt.

Sollte der Gerichtshof diesem Ansatz folgen, so wird die Anwendung von Stillhalteklauseln endgültig zum einem Unsicherheitsfaktor der verwaltungsrechtlichen Praxis. Denn dann verlagert sich die ohnehin schon schwierige Prüfung vollständig in eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, deren Ausgang von Behörden kaum vorhersehbar ist. Das beste Beispiel, welches Chaos droht, zeigen die Schlussanträge. In einer wilden Abwägung kommt der Generalanwalt zu dem Ergebnis, dass die in zu entscheidenden Fall anzuwendenden Kriterien zu zahlreich und zu ungenau wären, um vorhersehbar zu sein und eine Verwaltungspraxis der systematischen Ablehnung zu vermeiden. Wichtig erscheint, dass der Generalanwalt die Notwendigkeit betont, dass die Nichterfüllung einzelner Kriterien tatsächlich „ein ernstliches und unüberwindliches Hindernis für die erfolgreiche Integration des minderjährigen Kindes darstellen soll“. Hierdurch werden insbesondere die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsentscheidung beim Ehegattennachzug im Rahmen der Ausnahmeregelung zum Spracherfordernis nachhaltig verschärft.

Der Generalanwalt kommt zu folgendem Vorschlag:

  1. Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die unstreitig die Zusammenführung eines rechtmäßig in einem Mitgliedstaat wohnenden türkischen Arbeitnehmers mit seinen minderjährigen Kindern dadurch erschwert, dass sie die Voraussetzungen für deren erstmalige Aufnahme im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats im Vergleich zu denjenigen verschärft, die beim Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation galten, den der Assoziationsrat erlassen hat, der durch das von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits am 12. September 1963 in Ankara unterzeichnete und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingerichtet wurde, stellt eine neue Beschränkung der Wahrnehmung der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer im Sinne von Art. 13 dieses Beschlusses dar.
  2. Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 steht einer nach Inkrafttreten dieses Beschlusses erlassenen Regelung entgegen, wonach minderjährige Kinder, die den Antrag stellen, zu ihrem türkischen Elternteil ziehen zu dürfen, der in Dänemark einer unselbständigen Beschäftigung nachgeht, in Fällen, in denen seit Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an diesen Elternteil mehr als zwei Jahre vergangen sind, nachweisen müssen, dass sie eine hinreichende Verbindung mit diesem Mitgliedstaat haben oder haben können.

Mainz, den 21.01.2016
Dr. Dienelt