Höchstdauer des Aufenthalts im Schengen-Raum gilt nicht im kleinen Grenzverkehr

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Der EuGH hat mit Urteil in der Rechtssache C-254/11 (Szabolcs-Szatmár-Bereg Megyei Rendőrkapitányság Záhony Határrendészeti Kirendeltsége / Oskar Shomodi) entschieden, dass die Beschränkung der Höchstdauer des Aufenthalts eines nicht visumpflichtigen Ausländers im Schengen-Raum auf drei Monate je Halbjahr gilt nicht im kleinen Grenzverkehr gilt. Bei Ausländern, die über eine Grenzübertrittsgenehmigung für den kleinen Grenzverkehr verfügen, ist die in bilateralen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und den an sie angrenzenden Drittstaaten festgelegte Höchstaufenthaltsdauer unabhängig von ihren früheren Aufenthalten zu berechnen, wenn diese durch eine Rückkehr in ihren Wohnsitzstaat unterbrochen worden sind.

Nach dem Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen können sich Ausländer, die nicht der Visumpflicht unterliegen, für bis zu drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise im Schengen-Raum frei bewegen.

Eine spezielle Verordnung gilt für Ausländer, die im Grenzgebiet eines Nichtmitgliedstaats der Union zu einem Mitgliedstaat ansässig sind, d. h. innerhalb eines bis zu 30 km von der Grenze entfernten Bereichs. Grenzbewohner können eine Grenzübertrittsgenehmigung für den kleinen Grenzverkehr erhalten, die es ihnen ermöglicht, in den Nachbarmitgliedstaat einzureisen und sich dort während eines Zeitraums, der von den beiden aneinander angrenzenden Staaten bestimmt wird, aber drei Monate nicht überschreiten darf, ununterbrochen aufzuhalten. Die Inhaber einer solchen Grenzübertrittsgenehmigung sind nicht befugt, das Grenzgebiet des besuchten Mitgliedstaats zu verlassen.

Ungarn und die Ukraine haben ein Abkommen zur Anwendung der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr auf ihre gemeinsame Grenze geschlossen, das u. a. die Höchstdauer des Aufenthalts von ukrainischen Staatsangehörigen festlegt, die die Regelung über den kleinen Grenzverkehr in Anspruch nehmen können. Diese Höchstdauer, die Bestandteil der ungarischen Rechtsvorschriften ist, entspricht der in der Verordnung vorgesehenen Höchstdauer von drei Monaten, sofern der Aufenthalt nicht unterbrochen wird.

Herr Shomodi, ein ukrainischer Staatsangehöriger, ist Inhaber einer Grenzübertrittsgenehmigung für den kleinen Grenzverkehr, die ihn berechtigt, sich in das Grenzgebiet Ungarns zu begeben. Am 2. Februar 2010 wollte er am Grenzübergang Záhony nach Ungarn einreisen. Die ungarische Polizei stellte fest, dass er sich zwischen dem 3. September 2009 und dem 2. Februar 2010 105 Tage im ungarischen Hoheitsgebiet aufgehalten und dort fast täglich mehrere Stunden verbracht hatte. Da sich Herr Shomodi somit innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate innerhalb des Schengen-Raums aufgehalten hatte, verweigerte ihm die ungarische Polizei – unter Zugrundelegung der im Licht des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen ausgelegten ungarischen Rechtsvorschriften – die Einreise in das ungarische Hoheitsgebiet.

Herr Shomodi klagte gegen die Entscheidung der Polizei vor den ungarischen Gerichten. Der im Kassationsverfahren angerufene Legfelsőbb Bíróság (Oberster Gerichtshof, Ungarn) fragt den Gerichtshof, ob das betreffende Abkommen, das nach seiner Auslegung durch die ungarischen Behörden die Gesamtdauer der Aufenthalte eines Grenzbewohners im Grenzgebiet von Ungarn auf drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten begrenzt, mit der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr vereinbar ist.

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass

die allgemeine Regel des Schengen-Besitzstands, wonach der Aufenthalt von Ausländern auf einen Zeitraum von drei Monaten je Halbjahr beschränkt ist, nicht für den kleinen Grenzverkehr gilt

. Er hebt hervor, dass die in der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr festgelegte Beschränkung auf drei Monate „ununterbrochene Aufenthalte" betrifft, während sich die aus dem Schengen-Besitzstand resultierende Beschränkung nicht auf ununterbrochene Aufenthalte bezieht. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Kommission zwar im Laufe der Vorarbeiten zur Verordnung ursprünglich eine Angleichung an die Berechnung des im Schengen-Besitzstand vorgesehenen Maximalaufenthalts vorgeschlagen hatte, sich der Unionsgesetzgeber aber für eine spezielle Beschränkung, die auf ununterbrochene Aufenthalte abstellt, entschied. Dem Gerichtshof zufolge begründet der Umstand, dass die Obergrenze, wie im Schengen-Besitzstand, drei Monate beträgt, keine Zweifel daran, dass diese Beschränkung im Verhältnis zu den allgemeinen rechtlichen Regelungen für Drittstaatsangehörige, die keiner Visumpflicht unterworfen sind, Spezialcharakter hat. Aus der Verordnung geht nämlich nicht hervor, dass die dort genannten drei Monate in einen Sechsmonatszeitraum eingebettet sein sollen.

Im Übrigen wollte der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr eigenständige Regeln schaffen, die sich von denen des Schengen-Besitzstandes unterscheiden. Diese Regeln sollen es den Bewohnern der betroffenen Grenzgebiete ermöglichen, die Landaußengrenzen der Union aus berechtigten Gründen wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder familiärer Natur zu überschreiten – und zwar einfach, d. h. ohne übertriebene Verwaltungshürden, häufig, aber auch regelmäßig.

Den von einigen Mitgliedstaaten geäußerten Befürchtungen, dass eine autonome Auslegung der Verordnung negative Auswirkungen haben könnte, hält der Gerichtshof entgegen, dass die Erleichterung des Grenzübertritts für Grenzbewohner bestimmt ist, die ordnungsgemäß nachgewiesene berechtigte Gründe haben, eine Landaußengrenze häufig zu überschreiten. Zudem steht es den Mitgliedstaaten weiterhin frei, Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die ihre Grenzübertrittsgenehmigung für den kleinen Grenzverkehr missbräuchlich oder in betrügerischer Absicht verwenden.

Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass sich der Inhaber einer Grenzübertrittsgenehmigung für den kleinen Grenzverkehr im Grenzgebiet drei Monate lang frei bewegen können muss, wenn sein Aufenthalt dort nicht unterbrochen wird, und dass er nach jeder Unterbrechung seines Aufenthalts ein neues dreimonatiges Aufenthaltsrecht beanspruchen kann.

Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass der Aufenthalt des Inhabers einer Grenzübertrittsgenehmigung für den kleinen Grenzverkehr in dem Moment als unterbrochen anzusehen ist, in dem der Betreffende die Grenze überschreitet, um in den Staat, in dem er ansässig ist, gemäß der ihm erteilten Genehmigung zurückzukehren, ohne dass es erforderlich wäre, die Zahl der täglichen Grenzübertritte zu berücksichtigen.

Quelle: Presseerklärung des EuGH