Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom 03.06.2021 (C-194/20) eine wichtige Entscheidung zu möglichen Aufenthaltsrechten türkischer Kinder, die sich in einer Ausbildung oder einem Studium befinden, getroffen. Hierbei hat er wichtige Einschränkungen gegenüber den Rechten der Kinder von Unionsbürgern gemacht, die sich aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ergeben.
Rechtlicher Ansatz der Entscheidung ist die unmittelbar anwendbare Regelung des Art. 9 ARB 1/80. Diese Norm enthält für türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, die dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, einen Anspruch darauf, unter Zugrundelegung derselben Qualifikationen wie die Kinder von Angehörigen dieses Mitgliedstaats zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Bildung zugelassen zu werden
Das Gleichbehandlungsgebot erstreckt sich auf jede Form von Unterricht, damit auch auf den Zugang zum Universitätsstudium.
Der Erwerb der in Art. 9 ARB 1/80 vorgesehenen Rechte hängt von zwei Voraussetzungen ab, die kumulativ zu erfüllen sind, nämlich
- zum einen, dass die türkischen Kinder im Aufnahmemitgliedstaat ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, und
- zum anderen, dass die Eltern in diesem Mitgliedstaat ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren.
Die erste dieser Voraussetzungen verlangt, dass sich die betroffenen türkischen Kinder im Aufnahmemitgliedstaat ordnungsgemäß bei ihren Eltern aufhalten, damit sie in diesem Mitgliedstaat Zugang zum Schulunterricht und zur beruflichen Bildung haben können.
Die zweite Voraussetzung ist dahin zu verstehen, dass ein Elternteil im Aufnahmemitgliedstaat unter Einhaltung der die Ausübung einer Beschäftigung betreffenden Bestimmungen des Beschlusses Nr. 1/80, insbesondere seiner Art. 6 und 7, eine Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausüben oder ausgeübt haben muss.
Der Gerichthof stellt aber klar, dass allein die Aufnahme einer Ausbildung durch ein türkisches Kind während oder nach einer Beschäftigung eines Elternteils nicht ausreicht, um eine aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung aus Art. 9 ARB 1/80 ableiten zu können. Damit unterscheidet sich die Rechtsstellung von den Rechten der Kinder von Unionsbürgern, die sich aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 ergeben.
Einzelheiten finden sich in der Kommentierung zu Art. 9 ARB 1/80