Antidiskriminierungsgesetz (BT-Drs. 15/4538), 2. Versuch, Bundesregierung

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Der Deutsche Bundestag hat am 21. Januar 2005 in erster Lesung den Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes behandelt (BT-Drs. 15/4538, zu finden unter http://dip.bundestag.de/btd/15/045/1504538.pdf). Das Gesetz wurde zwar formal aus der Mitte des Bundestages eingebracht, dient aber der rot-grünen Bundesregierung zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union. Ein erster Versuch zur Verabschiedung eines Antidiskriminierungsgesetzes war im Sommer 2002 gescheitert. Darüber hatte es auch heftige Debatten unter Juristen bis hinein in die Ausbildungszeitschriften gegeben.

Das Gesetz sollte und soll Diskriminierungen aufgrund von ?Rasse? bzw. ethnischer Herkunft, Weltanschauung, Alter, Geschlecht, Behinderung und sexueller Identität (§ 1 E-Antidiskriminierungsgesetz ? ADG ?) verhindern bzw. beseitigen.

Mit dem Antidiskriminierungsgesetz setzt die Bundesregierung insbesondere zwei Richtlinien der Europäischen Union um. Die Richtlinie zum Verbot von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft (2000/43/EG) hätte bereits bis zum 19. Juli 2003 umgesetzt werden müssen, weshalb die Kommission im Sommer 2004 beim Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen Deutschland und weitere Länder (Österreich, Finnland, Griechenland, Luxemburg) einreichte. Ferner setzt die Bundesregierung mit dem Gesetzentwurf auch die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG) um. In Irland, Belgien und Frankreich sind bereits seit kurzem Gesetze zur Umsetzung der Richtlinien in Kraft. Diese wie auch der Entwurf der Bundesregierung gehen über die Vorgaben aus Brüssel hinaus. Die europäischen Rechtsvorschriften sahen im Zivilrecht nur ein Benachteiligungsverbot wegen "Rasse" und ethnischer Herkunft vor. Im vorliegenden Entwurf wurde es um die Merkmale Alter, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität erweitert.

Die Kritik, die gegen den Gesetzentwurf vor gut zwei Jahren in Juristenkreisen laut wurde, wurde zum Teil mit einiger Vehemenz vorgetragen. So meldete sich in der Juristische Schulung (JuS) der Passauer Professor für Zivilprozessrecht, Bürgerliches Recht und Rechtsphilosophie Dr. Johann Braun mit einem Forums-Beitrag unter dem Titel: "Übrigens - Deutschland wird wieder totalitär" zu Wort (JuS 2002, 424 ff.). In der Einleitung schrieb Braun wörtlich: "Der Entwurf zielt darauf ab, die prinzipielle Trennung von Recht und Moral, die für den modernen Rechtsstaat grundlegend ist, gesetzlich aufzuheben und die Bürger im privaten Rechtsverkehr auf eine politisch verordnete Moral festzulegen." Weiter hieß es in dem in Dialogform verfassten Artikel: "In gut informierten Kreisen kursiert bereits ein Witz: 'Ein Farbiger, ein Türke, ein Homosexueller, ein Behinderter und eine Familie mit drei Kindern bewerben sich um eine Wohnung. Wen darf der Vermieter ablehnen, ohne gegen das Antidiskriminierungsverbot zu verstoßen? Nur die Familie mit den Kindern.'" Auch verurteilte der Verfasser einen damals noch vorgesehenen Straftatbestand der Diskriminierung mit einem Strafmaß von Freiheitsstrafe bis zum einem Jahr scharf und wies darauf hin, dass weitere Antidiskriminierungsgesetze zum Beispiel im Medien-, Presse- oder Jugendschutzrecht mit massiven Grundrechtsbeeinträchtigungen folgen könnten. Im Echo auf den Beitrag Brauns (JuS 2002, 1040) wurde weiter kritisiert, dass das Gesetz in vorauseilendem Gehorsam über die europarechtlichen Vorgaben hinausgehe, dadurch eine Verschärfung der Vorgaben auf europäischer Ebene wiederum beschleunige und zudem die subjektive Legitimation als Voraussetzung der Akzeptanz der Norm durch die Bürger untergrabe.

Der Regelungsbereich des im Entwurf vorliegenden Gesetzes erstreckt sich auf das Zivil- und das Arbeitsrecht. In einem weiteren Artikel des Gesamtentwurfs ist ferner ein Gesetz zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten vor Diskriminierungen (Soldatinnen- und Soldaten-Antidiskriminierungsgesetz ? SADG ?) mit analogen enthalten Regelungen enthalten.

Im Zivilrecht betrifft das Benachteiligungsverbot den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Hier gilt das Gesetz bei so genannten Massengeschäften, die laut Definition "typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen" (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 E-ADG). Darunter fallen etwa der Einzelhandels- und Gastronomiebereich oder die Konstellation, wenn eine Wohnungsgesellschaft eine Vielzahl von Wohnungen anbietet. Allerdings sind Ausnahmen von den Verbotstatbeständen vorgesehen. So ist eine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und Geschlecht laut Gesetzentwurf dann erlaubt, wenn ein "sachlicher Grund" vorliegt. Dieses bezieht sich etwa auf das Selbstbestimmungsrecht von Religionsgemeinschaften oder auf den Abschluss von privatrechtlichen Versicherungsverträgen, bei denen je nach Gruppenmerkmal ein statistisch abgesichertes Risiko berechnet wird. Das Tatbestandsmerkmal "sachlicher Grund" wird im Gesetzentwurf allerings nur nach der Regelbeispiel-Technik präzisiert (§ 21 E-ADG).

Im Gegensatz zu den anderen Merkmalen gilt das Diskriminierungsverbot aufgrund der ethnischen Herkunft für Massenverträge aller Art, ebenso uneingeschränkt im Arbeitsrecht. Das Gesetz findet jedoch keine Anwendung, wenn ein "besonderes Nähe- und Vertrauensverhältnis" der Vertragsschließenden zum Tragen kommt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Mieter und Vermieter Wohnungen im selben Haus nutzen. Laut Entwurf kann ein Vermieter einen Mietinteressenten folglich allein wegen dessen ethnischer Herkunft ablehnen, wenn er im selben Mehrfamilienhaus wohnt.

Im Arbeitsrecht betrifft das Benachteiligungsverbot den Zugang zur Erwerbstätigkeit, den beruflichen Aufstieg, die Arbeits- und Entlassungsbedingungen und das Arbeitsentgelt. Im Zuge der Änderung anderer Gesetze werden daher wegen Redundanz nach Artikel 3 Abs. 14 des Gesamtentwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, dessen Artt. 1 und 2 das ADG und das SADG sind, die §§ 611a, 611b und 612 Abs. 3 BGB gestrichen. Der Entwurf regelt das Beschwerderecht von Beschäftigten, die von einer Diskriminierung betroffen sind. Dabei können Betroffene von einem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen, wenn der Arbeitgeber nach einer Beschwerde die Benachteiligung nicht zu unterbinden sucht. Ferner können sie Schadenersatz verlangen. Allerdings sieht der Entwurf kein uneingeschränktes Benachteiligungsverbot im Bereich Beschäftigung und Beruf vor. So ist beispielsweise eine Ungleichbehandlung wegen Religion oder Weltanschauung bei einer Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften erlaubt. Dies gilt dann, "wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung angesichts des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung nach der Art der bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt" (§ 9 Abs. 1 E-ADG). Damit dürfen Religionsgemeinschaften ihre eigenen Konfessionsangehörigen bei der Stellenvergabe, z.B. in Altersheimen oder Kindergärten, bevorzugen. Mit dieser Regelung kommt die rot-grüne Bundesregierung den Kirchen entgegen, deren Kritik in der vergangenen Legislaturperiode mitverantwortlich dafür war, dass der erste Versuch zur Umsetzung der EU-Richtlinien scheiterte. Der jetzige Entwurf sieht ferner Ausnahmeregelungen für die Merkmale Geschlecht und Alter vor.

Eine wesentliche Neuerung des Entwurfs ist die Beweislastregelung (§ 23 E-ADG). Die Beweislast kehrt sich dann um, wenn Betroffene Tatsachen glaubhaft machen, die eine Diskriminierung vermuten lassen. In diesem Fall muss der der Diskriminierung Beschuldigte nachweisen, im Einklang mit dem Gesetz gehandelt zu haben, was wohl regelmäßig in einem Gerichtsverfahren geklärt werden wird. Weil dies auch die Vermietung von Wohnraum betrifft, ist das Opfer einer behaupteten Diskriminierung berechtigt, den Vermieter zu verklagen. Dieser ist zur Entkräftung des Vorwurfs der Diskriminierung verpflichtet zu belegen, dass die betroffenen Interessenten aus sachlichen Gründen von ihm abgelehnt wurden ? zum Beispiel wegen schlechterer Bonität. Diese Beweislastumkehr macht der Immobilienwirtschaft schwer zu schaffen, weil sie mir einer Flut von Klagen rechnen muss, beispielsweise durch Antidiskriminierungsverbände (legaldefiniert in § 24 E-Antidiskrminierungsgesetz).

Laut Gesetzentwurf soll weiter eine Antidiskriminierungsstelle beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Jugend und Frauen eingerichtet werden. Sie soll Ansprechpartner für Betroffene sein. Des Weiteren soll sie im Rahmen ihrer Arbeit auch Nichtregierungsorganisationen einbeziehen sowie wissenschaftliche Untersuchungen durchführen.

Der baden-württembergische Justizminister und Ausländerbeauftragte Ulrich Goll (FDP) kritisierte den Gesetzentwurf scharf. Er bezeichnete ihn als einen "Anschlag auf die Vertragsfreiheit". Auch der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Norbert Röttgen nannte den Entwurf ein "Gesetz zur Bekämpfung der Vertragsfreiheit". Der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Dieter Hundt betonte, dass Diskriminierungen auch "schon heute verboten" seien. Das Gesetz sei ein "Eldorado für Rechtsanwälte". Die Immobilien- und Wohnungsverbände kritisieren den Entwurf als misslungen und hochproblematisch, weil er eine zunehmende Rechtsunsicherheit schaffe und eine Flut von Prozessen provoziere. Im Gesetzentwurf seien noch viele Definitionen und Begriffe vage und unpräzise formuliert. Insbesondere seien die Schadensersatz- bzw. schmerzensgeldähnliche Ansprüche nicht der Höhe nach definiert. Der mit der Einführung des Gesetzes in der vorliegenden Form verbundene Arbeitsaufwand für die Wohnungsgesellschaften sei kaum einzuschätzen, weil Millionen Vermietungsvorgänge gerichtssicher dokumentiert werden müssten, um später nachweisen zu können, dass abgewiesene Bewerber nicht diskriminiert wurden. Die Kosten dafür könnten sich nach Meinung des Verbandes auf den Mietspiegel niederschlagen.

Olaf Scholz, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Mitunterzeichner der Entwurfsvorlage, bezeichnete entsprechende Vorwürfe als "Propaganda". Vielmehr handle es sich um ein "pragmatisches Gesetz, mit dem kein anständiger Bürger Probleme haben wird." Was den Begriff des anständigen Bürgers angeht, fühlt man sich durchaus an Brauns Ausführungen zur oktroyierten Moral erinnert, die in der Begründung zum 2001er Entwurf tatsächlich eine Grundlage finden: "Einer der Gründe [für die Notwendigkeit eines ADG] ist die bisherige konstruktive Einbindung der Wertordnung des Grundgesetzes in das Zivilrecht. Die Beachtung der Werte des Grundgesetzes und insbesondere des Gleichbehandlungsgrundsatzes wird den Bürgern nicht durch eine unmittelbare Zivilrechtsnorm zur Pflicht gemacht" (Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 10.12.2001, A. 1., S. 17, zu finden unter der Nichtregierungs-Internetadresse http://www.lrz-muenchen.de/~Lorenz/material/antidiskr.pdf).

Auch Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Bündnis 90/Die Grünen-Fraktion, sieht im Entwurf einen "ausgewogenen Kompromiss". Zwar sei es eine "Illusion, dass Diskriminierung nun per Knopfdruck über Nacht verschwindet", so Beck. Ein Antidiskriminierungsgesetz sei allerdings ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal der Integration, dass es Betroffenen zudem erlaube, ihre Rechte selbstbewusst einzufordern und durchzusetzen.

Zum Teil wird aber auch moniert, die Regelungen gingen nicht weit genug. Manche rügen zum Beispiel die Schaffung nur einer bundesweiten Anlaufstelle anstelle dezentraler Institutionen bei den Ländern.

So sehr die Grundintention des Gesetzes zu begrüßen ist, so sehr sind auch die politischen und handwerklichen Unuzlänglichkeiten zu beklagen: Zunächst ist zu befürchten, dass die Politik mit der Verabschiedung des Gesetzes ihre Schuldigkeit im Bereich des Kampfes gegen Diskriminierungen im Alltag getan zu haben glaubt, so dass das Problem aus ihrem Bewusstsein und der öffentlichen Diskussion verschwindet. Gerade letztgenannte ist aber das eigentlich Entscheidende für Integration und Toleranz statt Diskriminierung. Ferner dürfte sich der Widerstand unter den Bürgern gegen immer stärkere staatliche Kontrolle ihres Handelns, wie sie schon im Steuerverfahrensrecht und im Recht der Sozialversicherung durchgesetzt wurde, erhöhen und im konkreten Fall in Abneigung gegen Minderheiten umschlagen ? das Gesetz könnte also das Gegenteil dessen bewirken, was sein ursprüngliches Anliegen war. Nicht zuletzt dürfte die Umsetzung tatsächlich in beträchtlichem Maße die Gerichte beschäftigen, womit das Gesetz über diesen Umweg zum bürokratischen Monstrum werden könnte.