Visafreiheit für Türken – Innenministerium rudert zurück

Anzeige Werbung Kanzleien Anzeige

Laut einer dpa-Meldung vom 20.03.2009 weist das Ministerium in Berlin Schlussfolgerungen zurück, wonach nun auch Touristen, Geschäftsleute und andere türkische Staatsangehörige ohne ein Visum nach Deutschland reisen können.

In seiner Antwort auf eine mündliche Anfrage der Fraktion Die Linke im Parlament hatte der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmeier noch am 18.03.2009 indirekt bestätigt1 (Plenarprotokoll 16/210, S. 227092), dass nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Februar 2009 in der Rechtssache C-226/06 (Soysal) beispielsweise Touristen, Geschäftsleute, Künstler oder auch Personen, die eine Krankenhausbehandlung in Deutschland durchführen lassen wollen, visumsfrei einreisen können.

1980 hatte die Bundesrepublik eine allgemeine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige eingeführt. Das OVG Berlin-Brandenburg hatte dem EuGH ein Fall von zwei türkischen Fernkraftfahrern vorgelegt, die für eine Spedition Waren nach Deutschland brachten. Das EuGH sollte klären, ob die Fernfahrer ein Visum benötigen.

Das EuGH entschied, dass infolge eines Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei keine strengeren Visumsregelungen gelten dürfen als zum Zeitpunkt des Inkrafttretens zum 01.01.1973. Die allgemeine Visumspflicht für türkische Staatsangehörige wurde allerdings 1980 eingeführt. Der Gerichtshof stellte daher in seinem Urteil klar, dass diese Verschärfung der Visumsbestimmungen – da zeitlich später - mit dem Zusatzprotokoll des Assoziierungsabkommens unvereinbar war und mithin die alten Regelungen weiter gültig sind.

Trotz eindeutigem Wortlaut, trotz Eingeständnis des Staatssekretärs Peter Altmeier in der Fragestunde und trotz zahlreicher Einschätzungen von Experten und Fachleuten zu Gunsten der Visafreiheit rudert das Bundesinnenministerium – dennoch aber nicht überraschend - zurück. Die grundsätzliche Visumspflicht für türkische Staatsangehörige bleibe nach Angaben des Bundesinnenministeriums auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestehen. Das Urteil betreffe nur Türken, die im Güterfernverkehr Waren nach Deutschland bringen. Die Darstellung der Links-Fraktion - gemeint ist die Pressemitteilung der migrationspolitischen Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke - gebe das Urteil verzerrt wieder.

Vielmehr werde – noch nach einem Monat seit Veröffentlichung des Urteils - geprüft, ob das für alle EU-Staaten verbindliche Urteil über den Einzelfall hinaus auch Auswirkungen auf andere Bereiche der „aktiven Dienstleistungsfreiheit“ haben könnte.

Diese „Wir-Prüfen-Taktik“ der Bundesregierung hat einen ganz besonderen Grund. Neben anderen unerwünschten Nebenwirkungen, führt vor allem die visafreie Einreise bei Touristen dazu, dass die höchst umstrittenen Regelungen zur Familienzusammenführung, die an Sprachkenntnisse vor der Einreise geknüpft ist, ins Leere laufen. So könnten nämlich Ehepartner aus der Türkei als Touristen nach Deutschland einreisen und ein Sprachkurs in Deutschland besuchen, was viel effektiver und effizienter wäre. Das erlernen der Sprache in einer Deutschsprachigen Umgebung dürfte jedenfalls viel weniger Zeit in Anspruch nehmen als der Besuch eines Sprachkurses in einem Goethe-Instut im Ausland, wo nach dem Unterricht in aller Regel wieder türkisch gesprochen wird.

Um diese Auswirkungen bewusst, wird seitens des Innenministeriums mit aller Macht versucht3, in der das EuGHUrteil die Visafreiheit, das EuGH-Urteil möglichst als eine Einzelfallentscheidung abzutun oder auf einen sehr begrenzten Personenkreis anzuwenden. Wie sehr eine mögliche Visafreiheit für Türken das Bundesinnenministerium – aus deren Feder die Einschränkungen beim Ehegattennachzug stammen – stört, erkennt man bereits daran, dass sie der Pressemitteilung einer Oppositionsabgeordneten öffentlich widerspricht.

Die Linksfraktion hat gegenüber MiGAZIN mitgeteilt, dass Sevim Dagdelen eine weitere mündliche Nachfrage zum Thema eingereicht hat, die in der mündlichen Fragestunde im Deutschen Bundestag am Mittwoch, 25.03.09, behandelt werden wird. Wie Rechtsanwalt Ünal Zeran bereits im MiGAZIN geschrieben hat: „Wir können nicht dafür sorgen, dass sie die Wahrheit sagen, aber wie können dafür sorgen, dass sie noch unverschämter Lügen müssen.“

Ein Gastbeitrag von Migazin

http://www.migazin.de/2009/03/21/visafreiheit-fur-turken-%e2%80%93-innenministerium-rudert-zuruck/