Gericht entscheidet: Keine visafreie Einreise türkischer Staatsangehöriger bei Besuchsaufenthalten

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Das Verwaltungsgericht Berlin hat heute erstmalig über die Frage der visumfreien Einreise türkischer Staatsangehöriger entschieden.

Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er begehrt die Einreise in die Bundesrepublik, "um seine vier Kinder zu besuchen und Dienstleistungen in Empfang zu nehmen".

Der Kläger ist unter ausführlicher Darlegung seiner Rechtsauffassung der Ansicht, dass er nach den assoziationsrechtlichen Regelungen EWG/Türkei für diesen Aufenthalt keines Visums bedarf, weil er von seiner passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen wolle. Er begehre die Einreise in die Bundesrepublik, um Dienstleistungen gegen Entgelt in Empfang zu nehmen. Hierzu benennt er Zoobesuche, Ausflüge, Anmietung eines PKW, Bahnfahrten und Ähnliches. So sei bereits die Entgegennahme der Leistungen der Flughafenangestellten, einen Reisekoffer vom Flugzeug zur Gepäckausgabe zu verbringen, von der passiven Dienstleistungsfreiheit erfasst.

Der Kläger kann sich nach Ansicht des VG Berlin trotz der Soysal-Entscheidung des EuGH nicht auf eine Visumfreiheit berufen, denn der von ihm angestrebte Besuchsaufenthalt sei nicht von der Standstillklausel des Art. 41 Abs. 1 Zusatzprotokoll umfasst. Die frühere Visumfreiheit für türkische Staatsangehörige über die Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs hinaus, also außerhalb der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten nach EU-Recht, unterliege nicht der Beschränkung durch das assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbot. Dies gelte namentlich für Besuchsaufenthalte bei Verwandten.

Die zur Gewährleistung wirtschaftlicher Betätigung garantierte Dienstleistungsfreiheit schütze auch den Dienstleistungsempfänger, also denjenigen, der sich zu Zwecken der Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begebe. Eine solche auf eine wirtschaftliche Betätigung ausgerichtete Zweckbestimmung weise ein Besuchsaufenthalt bei Verwandten oder Freunden nicht auf. Der Empfang von Dienstleistungen erfolge in diesen Fällen fast denknotwendig und lediglich gelegentlich eines anderen Zwecken dienenden Besuchsaufenthalts und könne daher auch bei einem weiten Verständnis der passiven Dienstleistungsfreiheit nicht die Ratio des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls berühren. Ein Besuchsaufenthalt bei Verwandten oder Freunden sei auch nicht mit einem touristischen Aufenthalt gleichzusetzen.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wirft eine Reihe von praktischen Fragen auf. Wie soll die Motivforschung an der Grenze erfolgen? Reicht es aus, wenn ein türkischer Staatsangehöriger eine Rundreise gebucht hat? Ist der Besuch visumfrei, wenn ein Hotel in dem Ort, in dem die Verwandten leben, gebucht wurde? Da der türkische Staatsangehörige den visumfreien Zweck seiner Einreise belegen können muss, wird er nicht umhin können, Dokumente beim Grenzübertritt mit sich zu führen, aus denen sich ergibt, dass er nicht nur einen Besuchsaufenthalt plant.

Link zur Entscheidung

https://www.migrationsrecht.net/index.php?option=com_edocman&view=categories

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts geht deutlich über den Bereich hinaus, den der parlamentarische Staatssekretär Altmaier dem Urteil zumessen will. Denn das Verwaltungsgericht sieht durchaus die Möglichkeit, dass die passive Dienstleistungsfreiheit in Form touristischer Aufenthalte die Einreisefreiheit begründen kann.

Rede des parlamentarischen Staatssekretärs Peter Altmaier
http://www.youtube.com/watch?v=dBTGKIfCdVo