Die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP haben kurz vor der Sachverständigenanhörung am 14. März 2011 einen Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften“ (BT-Drucksache 17/4401) eingereicht.
In diesem Antrag finden sich neben Verschärfungen in Bezug auf den Besuch eines Integrationskurses vernünftige Überlegungen zum Rückkehrrecht von Opfern von Zwangsehen. Anstelle der Notwendigkeit eine neue Aufenthaltserlaubnis zu beantragen, soll der Aufenthaltstitel bei Opfern von Zwangsehen nicht erlöschen:
„Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er die Voraussetzungen des § 37 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 erfüllt, rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb von drei Monaten nach Wegfall der Zwangslage, spätestens jedoch innerhalb von zehn Jahren seit der Ausreise, wieder einreist.“
Dieser Vorschlag ist gegenüber dem bisherigen Gesetzentwurf zu begrüßen: Das erweiterte Rückkehrrecht, das bislang geplant war, vermittelt Betroffenen ausschließlich die Möglichkeit der Wiedereinreise über das Visumverfahren, da das Erlöschen des Aufenthaltstitels nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 oder 7 AufenthG nicht in Frage gestellt wird. Damit wird eine Hürde errichtet, die geeignet ist, die Rückkehr der Betroffenen zu erschweren oder unmöglich zu machen. Die Personen haben in der Regel nicht die Möglichkeit, über ein mehrmonatiges Visumverfahren in den Besitz eines Aufenthaltstitels zur Wiedereinreise in das Bundesgebiet zu gelangen. Der Besuch der deutschen Auslandsvertretung ist häufig nicht möglich, da diese Personen nach einiger Zeit zwar eigene Handlungsspielräume von den Familien eingeräumt erhalten, diese aber nicht ausreichen, ein zeitaufwendiges Visumverfahren zu betreiben. Besser geeignet erscheint daher mit dem Änderungsantrag an dem Erlöschenstatbestand anzusetzen, um dem Betroffenen eine Rückkehr mit dem damals ausgestellten Titel zu ermöglichen.
Mit der geplanten Regelung wird nicht der Erlöschenstatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfasst. Dies erscheint auch nicht sinnvoll, da der Grenzbeamte, den der abgelaufene Titel bei der Einreise vorgelegt würde, die Tatbestandsvoraussetzungen der oben genannten Regelung nicht überprüfen kann. Daher erlöschen die Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf des Gültigkeitszeitraums und die Niederlassungserlaubnis mit Ablauf von 10 Jahren nach der Ausreise.
Die vorgeschlagene Regelung hätte den Vorteil, dass sie dem von Zwangsheirat Betroffenen eine unverzügliche Rückkehr nach Deutschland ermöglicht und daher ein Visumverfahren entbehrlich machen würde. Die Ausländerbehörde kann dann nach der Einreise das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes prüfen.
Soweit gegen den Entwurf eingewandt werden wird, dass der Grenzschutz mit einer Überprüfung überfordert sein wird, ist dem nicht zuzustimmen. Dabei gibt es aber zwei Gesichtspunkte, die zu beachten sind:
- Zum einen ist dem Grenzschutz eine inhaltliche Prüfung eines Erlöschenstatbestandes nicht fremd, wie § 51 Abs. 2 AufenthG zeigt. Hinsichtlich der dort zu prüfenden Frage der Lebensunterhaltssicherung wird in der Regel so verfahren, dass dem Ausländer die Einreise mit der Maßgabe der Meldung bei der Ausländerbehörde gestellt wird. Der Grenzschutz meldet der zuständigen Ausländerbehörde am Wohnsitz des Ausländers den Erlöschenstatbestand. Hier kann zudem durch Verwaltungsvorschrift klargestellt werden, dass bei einer Zwangsehe nicht von einem Zurückweisungsgrund auszugehen ist. Der Vorteil dieser Regelung liegt auf der Hand. Der Ausländer muss sich zwar dem Grenzschutz offenbaren, er kann aber dann unverzüglich einreisen.
- Zum anderen könnte – wenn die Ausreise wegen des vermeintlichen Erlöschens des Aufenthaltstitels nicht ermöglicht wird – die Auslandsvertretung durch ein deklaratorisches Visum klarstellen, dass der Titel besteht und daher die Einreise möglich ist. In diesem Fall müsste im „Visumverfahren“ nur der Zwangsehesachverhalt geprüft werden. Fragen der Lebensunterhaltssicherung usw. stellen sich dann nicht. Dieses vereinfachte Verfahren würde den Zwangsverheirateten deutlich begünstigen und vor allem das Verfahren beschleunigen. Eine Rücksprache bei der Ausländerbehörde wäre ebenso wenig erforderlich wie das Einholen des Einvernehmens! Eine ähnliche Problematik stellt sich bei den „Soysal-Fällen“, sodass die Auslandvertretung nicht mit einer neu Situation konfrontiert würde.
Nach meiner Ansicht sind beide Alternativen deutlich besser, als die Notwendigkeit, ein neues Visumverfahren durchführen zu müssen.
Neben dieser Regelung besteht die Notwendigkeit einer erweiterten Rückkehrregelung nur für Familienangehörige ohne unbefristeten Aufenthaltsstatus. Hier muss aber die Frage beantwortet werden, ob allein die Zwangsverheiratung ein Rückkehrrecht vermitteln soll. Kinder, die keine Niederlassungserlaubnis haben, sind die Ausnahme, da § 35 Abs. 1 AufenthG sehr schnell die Verfestigung des Status ermöglicht.
Die weitergehenden Vorschläge zur Verschärfung des Aufenthaltsrechts – mit dem Ziel einer Stärkung der erfolgreichen Integrationskursteilnahme – sind zumindest teilweise mit den Vorgaben der Familienzusammenführungsrichtlinie unvereinbar. Diese verlangt, dass Ehegatten ein Aufenthaltstitel von "mindestens einjähriger Gültigkeitsdauer" zu erteilen ist (Art. 13 Abs. 2 RL 2003/86/EG). Außerdem gibt es nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie keine Verpflichtung, erfolgreich an einer Integrationsmaßnahme teilzunehmen. Verlangt werden kann nur die "ordnungsgemäße" Teilnahme an einer Integrationsmaßnahme.
Bei türkischen Staatsangehörigen steht zudem die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 der Einführung weiterer Verschärfungen hinsichtlich der Erteilung und Verländerung von Aufenthaltstiteln entgegen (siehe Online-Kommentar zum ARB 1/80).
Im Hinblick auf die Vorgaben des Europarechts wird im Rahmen der Sachverständigenanhörung herauszuarbeiten sein, welchen Handlungsspielraum der Gesetzgeber nach Einreise von Familienangehörigen bei der Erteilung bzw. Verlängerung von Aufenthaltstiteln hat.
Dr. Klaus Dienelt