BERN ? Im Rahmen der Änderung des Asylgesetzes in der Schweiz, der sog. ?Asylrechtsrevision?, werden am 12. und 13. Mai 2005 die Detailberatungen der beiden parlamentarischen Kammern (des National- und des Ständerats) zum Gesetzesentwurf erwartet. Die vorgese-henen Änderungen bringen eine Verschärfung des Asylrechts mit sich, weshalb die Revision von vielen Seiten heftig kritisiert wird. Als Ergebnis der ständerätischen Beratungen wurde insbesondere eine Bestimmung verabschiedet, welche die Einschränkung des Rechts auf Hilfe in Notlagen vorsieht. Diese Regelung erklärte das Schweizerische Bundesgericht be-reits einen Tag später, am 18. März 2005, als verfassungswidrig, womit die Gesetzesrevision zusätzlich und öffentlich in Frage gestellt worden ist. Ein Blick auf die Praxis der Nothilfegewährung und Gedanken zum bisherigen Revisionsverfahren von Mirina Grosz
Das Recht auf Nothilfe nach Art. 12 der Schweizerischen Bundesverfassung (BV) lässt sich als sog. Kerngehaltsgarantie aus der Menschenwürde, dem Recht auf Leben und dem Recht auf persönliche Freiheit ableiten. Es sichert jeder sich in der Schweiz aufhaltenden Person die elementarsten menschlichen Bedürfnisse wie Nahrung, Kleidung, Obdach und medizini-sche Notversorgung zu, sofern deren Eigenversorgung nicht möglich ist.
Die Bestimmung, welche im Rahmen der Ständeratsberatungen vorgeschlagen wurde, soll es den kantonalen Behörden ermöglichen, Nothilfe zu kürzen oder gänzlich zu entziehen. Die Verweigerung der Nothilfe soll damit als Druckmittel gegen nicht kooperierende Asylbe-werber eingesetzt werden können. Diese Bestimmung setzt u.a. an den beschlossenen Sparmaßnahmen aus dem Jahre 2003, dem sog. Entlastungsprogramm an. Dieses Pro-gramm ist seit dem 1. April 2004 in Kraft und sieht unter anderem vor, dass Asylbewerber, deren Gesuch mit einem rechtskräftigen Nichteintretensentscheid abgewiesen worden ist, von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden können. Als ?illegal Anwesende? erhalten sie die Auflage, die Schweiz unverzüglich selbständig zu verlassen. Bis jetzt verblieb ihnen in sol-chen Fällen aber noch ein Anspruch auf Nothilfe, sofern die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt waren. Tatsächlich war der Zugang zur Nothilfe jedoch oft schwierig und außerdem von Kanton zu Kanton verschieden geregelt. Mit der aktuellen Gesetzesänderung, soll neben der Kürzung bzw. des Entzugs der Nothilfe, insbesondere der Sozialhilfeausschluss auf alle abgewiesenen Asylbewerber ausgedehnt werden. U.a. wurde diese Entwicklung auch von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heftig kritisiert. Nach den ersten Erfahrungen mit dem Sozialhilfeausschluss im Sinne des Entlastungsprogramms machte sie geltend, dass die betroffenen Personen regelmäßig in die Verelendung und in die Illegalität gedrängt worden seien, weshalb die Kriminalität zuzunehmen drohe. Auch die Kosteneinsparungen, die man sich erhofft hatte, erscheinen letztlich als zweifelhaft.
Abgewiesenen Asylbewerbern ist es regelmäßig rechtlich verwehrt bzw. faktisch nicht mög-lich, für sich selbst zu sorgen. Deshalb befinden sie sich in der Regel in einer effektiven Not-lage und müssen zumindest die Möglichkeit haben, Nothilfe als minimale Existenzsicherung zu erhalten. Die Verweigerung der Nothilfe als Zwangsmittel verstößt somit nicht nur gegen das Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV), sondern auch gegen die Menschenwürde (Art. 7 BV), gegebenenfalls sogar gegen das Willkürverbot (Art. 9 BV) und auch gegen das Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung nach Art. 3 der Europäischen Men-schenrechtskonvention (EMRK).
Entsprechend der klaren Rechtslage, mussten sowohl der Ständerat als auch der Justizmi-nister und Bundesrat Christoph Blocher mit einer solchen Entscheidung des Bundesgerichts rechnen. Bereits ein Gutachten von Prof. Jörg Paul Müller hatte die neue Bestimmung im Vorfeld der Gerichtsentscheidung als verfassungswidrig qualifiziert. Auch weitere namhafte Experten des Völker- und Verfassungsrechts hatten einzelne Regelungen deutlich kritisiert. Auf diese Gutachten wurde aber offensichtlich nicht weiter eingegangen. Die Beratungen verliefen im Parlament ungewöhnlich schnell. Eine ernsthafte Überprüfung der zu ändernden Normen auf ihre Verfassungsmässigkeit unterblieb deshalb auch wegen Zeitmangels.
Die Gesetzesrevision rückt damit in ein dubioses Licht. Auch die Bemerkung Christoph Blo-chers, welche implizierte, dass die Verfassung, die das Recht auf Nothilfe ausdrücklich statu-iert, geändert werden könne, deutet in eine beunruhigende Richtung, die das neue Gesetz einzuschlagen droht. Mit der Asylgesetzrevision werden grundsätzliche Fragen aufgeworfen aber auch die Grundwerte der Schweiz in Frage gestellt. Dürfen das Parlament und die Re-gierung in der Schweiz so leichtfertig mit der Verfassung und mit Menschenrechten umge-hen? Sind die vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich sparpolitisch sinnvoll und nötig oder sind sie nur ein Vorwand für eine noch restriktivere Asylpolitik? Eines ist klar: Die Leidtra-genden werden die Asylsuchenden sein. Langfristig ist aber auch das internationale Anse-hen der Schweiz zu bedenken. Aus europapolitischer Sicht widerspricht es insbesondere dem Grundsatz der Staatenkooperation und dem Ziel der europäischen Harmonisierung, wenn die Schweiz ihre abgewiesenen Asylsuchenden faktisch zum illegalen Grenzübertritt in ihre Nachbarstaaten drängt. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Diskussion nicht untergeht und die Kritikpunkte in die parlamentarischen Detailberatungen einfließen werden. Damit könnte das Schlimmste vielleicht doch noch verhindert werden.
Mirina Grosz für Migrationsrecht.Net, Englische Version unter http://www.European-Migration-Law.Net
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