Visa-Affäre: Bundesinnenminister Schily, Zeuge, Vernehmung, Untersuchungsausschuss

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Visa-Affäre: Schily weist in Marathon-Aussage alle Schuld von sich und dem Auswärtigen Amt zu

BERLIN/KARLSRUHE ? Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 15. Juni 2005 per Beschluss (Az. 2 BvQ 18/05, externer Link) entschieden hatte, dass der Visa-Untersuchungsausschuss seine Arbeit fortsetzen muss, wurde mit Otto Schily am vergangenen Freitag, also genau einen Monat später, ein weiterer prominenter und wohl auch der letzte Zeuge vor dem Ausschuss vernommen. Dem Ausschussvorsitzenden Hans-Peter Uhl (CSU), von dem behauptet wird, er habe in einer Zeitung schon vor Wochen angekündigt, den als cholerisch bekannten Schily binnen einer Stunde an die Decke zu bringen, gelang dieser Plan augenscheinlich nicht.

Schily agitierte zunächst auch nicht offen gegen die Behörde von Bundesaußenminister Joschka Fischer, wie vor allem einige Mitglieder von Bündnis90/Die Grünen in Anbetracht des wahrscheinlichen Endes der rot-grünen Bundesregierung befürchtet hatten. Dennoch scheint auch Schilys Verteidigungsstrategie nicht ganz aufgegangen zu sein: von seiner über fünfstündigen Aussage blieb vor allem der Eindruck zurück, dass er immer und immer wieder unterstrich, dass nicht das Innenministerium, sondern das Auswärtige Amt Fehler bei der Visa-Vergabe verschuldet habe.

"Ich sehe keinen Grund, der zu Vorwürfen gegen mich persönlich oder die Leitungsebene meines Hauses berechtigen würde", sagte Schily. In einigen Punkten belastete er das Fischer-Ministerium aber auch wesentlich, insbesondere was dessen Informationspolitik angeht: "Das Informationsverhalten des Auswärtigen Amtes war nicht optimal", sagte er in seinem Eingangs-Statement . Allenfalls Beamte niederer Ränge im Bundesinnenministerium hätten ihre Kompetenzen überschritten und sich in Angelegenheiten des Außenministeriums eingemischt. "Übereifrige Mitarbeiter meines Hauses haben Erlasse mitgezeichnet, für die das Bundesministerium des Innern keine Zuständigkeit hatte", sagte Schily.

Nach etlichen Auseinandersetzungen im Ausschuss, die auch Verfahrensfragen in Anbetracht der langen Redezeit Schilys betrafen, nutzte der FDP-Obmann im Untersuchungs-Ausschuss, Hellmut Königshaus, die 45-minütigen Pause nach der Schily-Rede für Attacken gegen den Minister: "Das hätter auch kürzer machen können, nämlich mit den Worten: 'Der Fischer ist schuld." Überdies habe Schily bewusst so lange geredet, um zu vermeiden, dass überregionalen Zeitungen - wegen ihres frühen Redaktionsschlusses - zeitnah kritisch über seine Aussage berichten könnten. CDU-Obmann Eckart von Klaeden schloss sich dem in ähnlicher Form an und warf Schily vor, außer Verhinderung der Sachaufklärung nichts Substantielles vorgebracht zu haben. Im Nachgang der Befragung erklärten der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hartmut Koschyk MdB, und der Obmann der Fraktion im Innenausschuss, Thomas Strobl MdB, Schilys Äußerungen seien wenig überraschend; schließlich habe er im Falle des gescheiterten NPD-Verbotsverfahrens auf ähnliche Weise argumentiert und einmal den Satz geprägt: "In meinem Ministerium darf jeder tun, was ich will."

Beobachtern zufolge stützte sich Schily zentral auf zwei Argumentationsstränge: Einerseits die nicht bestehende Zuständigkeit seines Hauses für Visa-Fragen und andererseits seine Unkenntnis von Fehlern in seinem aufgrund des Handelns von Mitarbeitern nur geringen Dienstranges. Zum umstrittenen Volmer-Erlass (Migrationsrecht.net berichtete, interner Link) sagte Schily, sein Ministerium sei an der Ausarbeitung des Erlasses nicht beteiligt gewesen. Allerdings habe er gegenüber Fischer Bedenken angemeldet, dass bei der Umsetzung des Erlasses vor Ort deutsches Ausländerrecht und das europäische Schengen-Abkommen verletzt werden könnte.

Nach einem Treffen von Referatsleitern der beiden Ministerien habe Gunter Pleuger, damals Staatssekretär im Auswärtigen Amt, derzeit Botschafter der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen, dem Innenministerium versichert, dass der Volmer-Erlass ausländerrechtliche Regelungen in keiner Weise berühre. Schily bekundete, sein Ministerium habe sich auf diese Einschätzung verlassen müssen, auch wenn letzte Zweifel nicht ausgeräumt worden seien. Um die unterschwellige Kritik am Auswärtigen Amt sogleich wieder abzumildern, äußerte sich Schily jedoch auch dahingehend, dass die Visa-Politik unter Fischer nach seinem Eindruck die Tradition der Vorgängerregierung fortgesetzt habe.

Weiter sagte Schily, auf der Leitungsebene der Ministerien gebe es keine Probleme bei der Zusammenarbeit. "Zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern gab es und gibt es eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit", so Schily, "[m]it meinem Freund Joschka Fischer verbindet mich eine jahrelange, erfolgreiche Zusammenarbeit."

Kommt es zu einer Auflösung des Bundestages, handelte es sich bei Otto Schily aller Voraussicht nach um den letzten Zeugen, der vor dem Visa-Untersuchungsausschuss erscheinen musste. Der Ausschuss nahm seine Arbeit im November 2004 auf. Auch wenn die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses noch ungewiss sind, handelte es sich bei diesem wohl um einen historischen: Mit der Aussage des Bundesaußenministers vor dem Ausschuss wurde erstmals in der bundesrepublikanischen Geschichte eine Zeugenvernehmung vor einem Untersuchungsausschuss live im Fernsehen übertragen.