NEW YORK/BRÜSSEL/BERLIN ? Industrie- und Entwicklungsländer sowie internationale Organisationen werden sich zunehmend der Bedeutung von Migration für Entwicklung bewusst. Die Zusammenhänge von Migration und wirtschaftlichen Fragen in den Herkunfts- wie auch in den Aufnahmestaaten sind mannigfaltig und viele Fragen sind ungeklärt. Die Vereinten Nationen haben deshalb einen hochrangigen Dialog für die Generalversammlung im September 2006 zu diesem Thema angesetzt. Auch die EU hat bereits Vorbereitungen für Forschungsmaßnahmen auf diesem Gebiet getroffen. Auch das deutsche Zuwanderungsrecht wird letztlich nochmals vor diesem Hintergrund beleuchtet werden müssen.
Im Jahre 2000 waren mit weltweit 175 Millionen Menschen, die außerhalb ihrer Heimatländer lebten, mehr als doppelt so viele Menschen Migrantinnen und Migranten wie noch vor 40 Jahren. Nach Angaben der Weltbank können etwa drei Prozent der Weltbevölkerung als Migranten klassifiziert werden und ihre Rücküberweisungen betrugen im Jahr 2004 mindestens 110 Mrd. USD und damit 52 Prozent mehr als noch 2001.
?Der hochrangige Dialog über Migration und Entwicklung wird eine einzigartige Gelegenheit für die internationale Gemeinschaft bieten, um die Grundlage für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit zu schaffen, auf der die facettenreichen Fragen angegangen werden können, die die internationale Wanderung von Menschen stellen sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan in seinem Bericht an die Generalversammlung der Vereinten Nationen Anfang August 2005. Dieser erging, nachdem die Generalversammlung am 30. November 2004 entschieden hatte, im September 2006 einen solchen Diskurs anzustrengen.
Auch die Europäische Kommission hat in Vorbereitung des internationalen Dialogs am 1. September 2005 in ihrer Mitteilung ?Migration und Entwicklung? mitgeteilt, sie untersuche die Möglichkeit einer im Geiste der Partnerschaft mit Herkunftsländern stehenden Verknüpfung von Wanderung und Entwicklungszusammenarbeit mit dem Ziel, zur Eindämmung der Armut in diesen Ländern beizutragen. Die Kommission formuliert darin politische Leitlinien zur Maximierung des Nutzens der Migration für die Entwicklungsanstrengungen der Herkunftsländer der Migranten. Migranten und Mitglieder der Diaspora können wesentlich zur Entwicklung ihrer Länder beitragen, indem sie Überweisungen tätigen, auf Dauer zurückkehren oder ihre Fähigkeiten und Erfahrungen mit den Einwohnern teilen. Die Mitteilung enthält konkrete Ideen dazu, wie die Beiträge verbessert werden können. Ebenso wird darauf eingegangen, welche negativen Wirkungen der Brain Drain, die Abwanderung von Fachkräften aus den Entwicklungsländern, nach sich zieht. Mit diesem Dokument gibt die Kommission einen ganz konkreten Anstoß zu einer Debatte, deren globale Bedeutung immer offenkundiger wird, und insbesondere zu dem hochrangigen Dialog zum Thema Migration und Entwicklung, der nächstes Jahr im Rahmen der VN-Generalversammlung stattfindet.
Unter den zahlreichen Fragen die zu erörtern sein werden, befinden sich auch Fragen, wie ob Aufenthaltstitel bei der (temporären) Rückkehr in das jeweilige Heimatland bestehen bleiben sollen. Denn oftmals ist das Risiko, den mühsam errungenen Titel im Aufenthaltsland zu verspielen, ein Hinderungsgrund für die Rückkehr in den Heimatstaat.
Im Laufe des Monats September soll von der EU-Kommission zudem das so genannte Forscher-Paket angenommen werden, durch das die EU-Einwanderungspolitik ebenfalls weiterentwickelt wird. Vorgesehen sind darin Maßnahmen zur Erleichterung der Einreise und des Aufenthalts qualifizierter Wissenschaftler in die EU. Der umfassendere ?strategische Plan zur legalen Zuwanderung?, den die Kommission vor Ende 2005 annehmen will, wird einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem ausgewogenen Konzept darstellen.
In einem Interview mit SOLIDARIDAD sagte Hania Zlotnik, Leiterin der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen, die für die Vorbereitung des internationalen Dialoges zuständig ist, bezüglich der Herausforderungen, die die zunehmende Migration an die Industriestaaten stelle, dass es ihrer Meinung nach nie oder jedenfalls nicht innerhalb unserer Lebenszeit zu einer vollkommenen Liberalisierung der Migrationsmöglichkeiten komme. Allerdings, so Zlotnik, sei eine Immigrationskontrolle gut für Immigranten. Dies begründet die Demographin und Migrationsexpertin damit, dass Einwanderer von der heimischen Bevölkerung schnell als Eindringlinge betrachtet werden, wenn Immigration nicht in geordneter und legaler Weise geschehe. Auch erwartet sie nicht, dass Europa sich hin zu Zuwanderungsregimen wie in den klassischen Einwanderungsländern, Vereinigte Staaten, Kanada oder Australien hin entwickele. In Europa werde man nach ihrer Einschätzung nicht zu einer weiten Vergabe von temporären Aufenthaltstiteln kommen.
Auch unser deutsches Zuwanderungsrecht wird im Hinblick auf die Ergebnisse von Forschung und Politikberatung Änderungen erfahren. Wenngleich der Aspekt der ?inneren Sicherheit? in den geführten Debatten zumeist die größte Rolle spielt, ist es, sich zu vergegenwärtigen, dass das Phänomen Migration viele weitere Dimensionen hat, die auch für uns zu bedenken sind.
von Daniel Naujoks
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