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Bündnisgrüne und Linksfraktion wollen Lücken im Bleiberecht für Langzeitgeduldete und Personen mit Aufenthaltsgestattung schließen

BERLIN ? In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Debatte um die Reform des Ausländerrechts durch den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union der Bundesregierung haben Mitglieder von Bündnis90/Die Grünen und Die Linke sowie ihre Fraktionen Gesetzentwürfe zur Änderung des geltenden Ausländerrechts in den Bundestag eingebracht, die sich mit dem Thema Kettenduldungen befassen. Nach einer halbstündigen kontroversen Debatte wurden die Entwürfe an die Ausschüsse, federführend den Innenausschuss verwiesen (BT-Plen.prot. 16/11, 797 D ff.).

Bündnis90/Die Grünen bezeichneten ihre Initiative als Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Altfall-Regelung) (BT-Drs. 16/218, externer Link zu PDF-Dokument). Er besteht aus der Schaffung eines neuen § 104a AufenthG, dessen Entwurf sich folgendermaßen liest:
 
?§ 104a Altfallregelung
 
(1) Einem Ausländer, der sich am 31. Dezember 2005 seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig oder geduldet im Bundesgebiet aufhält, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Von der Voraussetzung eines fünfjährigen Aufenthaltes kann in Härtefällen abgesehen werden. Ein Härtefall liegt insbesondere vor bei Personen, die
1. als unbegleitete Minderjährige vor dem 1. Januar 2004 in den Geltungsbereich dieses Gesetzes eingereist sind oder nach einer Einreise zum Stichtag als Minderjährige ohne Begleitung zurückgelassen wurden,
2. als Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen traumatisiert sind oder
3. während ihres Aufenthalts Opfer von Gewalttaten wurden.
 
(2) Dem Ehegatten und den zum Zeitpunkt der Einreise ledigen Kindern eines Ausländers, dem nach Absatz 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wird eine Aufenthalts- erlaubnis erteilt, wenn sie sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes rechtmäßig oder geduldet im Bundesgebiet aufhalten.
 
(3) Die Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen 1 und 2 berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.
 
(4) § 5 Abs. 3 letzter Halbsatz ist entsprechend anwendbar. § 10 Abs. 3 steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen.?
 
Ebenso haben Mitglieder der Fraktion Die Linke, die aus Abgeordneten der umbenannten PDS und der WASG besteht, einen Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und anderer Gesetze (BT-Drs. 16/369 vom 17. Januar 2006, externer Link zu PDF-Dokument) in den Bundestag eingebracht.
 
Nach dem Entwurf soll § 5 Abs. 3 AufenthG um einen Verweis auf einen neu einzufügenden § 25a AufenthG ergänzt werden. Er würde dann lauten:
 
?(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 24, 25 Abs. 1 bis 3, 25a sowie § 26 Abs. 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abzusehen; in den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann hiervon abgesehen werden.?
 
Der einzufügende § 25a AufenthG hat im Entwurfstext folgenden Wortlaut:
 
?§ 25a  Aufenthaltserlaubnis bei längerfristigem Aufenthalt
 
(1) Einer Ausländerin oder einem Ausländer, die oder der sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig oder geduldet aufhält, wird abweichend von § 10 Abs. 3 und § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Von der Voraussetzung eines fünfjährigen Aufenthaltes wird in Härtefällen abgesehen. Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn die Ausländerin oder der Ausländer
1. zum Zeitpunkt der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Satz 1 in einer familiären Beziehung mit einem ledigen Kind lebt und sich seit mindestens drei Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig oder geduldet aufhält,
2. als unbegleiteter Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist oder nach einer Einreise als Minderjähriger ohne Begleitung zurückgelassen worden ist und sich seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet rechtmäßig oder geduldet aufhält,
3. als Opfer einer im Ausland erlittenen Gewalttat oder kriegerischer Auseinandersetzungen traumatisiert ist oder
4. während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet Opfer einer Gewalttat geworden ist.
 
(2) Dem Ehegatten und dem ledigen Kind einer Ausländerin oder eines Ausländers, der oder dem nach Absatz 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, wird eine Aufenthaltserlaubnis erteilt.
 
(3) Die Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen 1 und 2 berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.?
 
In Gestalt dieser Vorschrift soll nach dem Willen der Fraktion Die Linke Ausländern eine Anspruchsgrundlage zur Verfügung gestellt werden, die sie zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis berechtigt, soweit sie sich mindestens fünf Jahre lang in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben; in besonders gelagerten Fällen soll auch ein kürzerer Aufenthalt genügen. Nach Ansicht der Abgeordneten, die den Entwurf unterzeichnet haben, tritt die neue Vorschrift als Regelung von Fällen humanitären Aufenthaltes ergänzend zu § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG hinzu. Damit sollen Lücken im humanitären Schutz vor aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen geschlossen werden, die der Wortlaut des § 25 Abs. 5 S. 3 und 4 AufenthG durch seine Anlagen zu restriktiver Auslegung befürchten lasse. Laut Begründung des Gesetzentwurfes sei in den vom Entwurf erfassten Fällen ?dem Integrationsinteresse sowohl des Betroffenen als auch der Gesellschaft Vorrang vor dem Grundsatz der Aufenthaltsbeendigung einzuräumen.?
 
Der Fraktion Bündnis90/Die Grünen geht es schon ausweislich der Überschrift des Gesetzentwurfes allein um die Schaffung einer Altfallregelung, wohingegen die Fraktion Die Linke eine allgemein gehaltene Vorschrift ohne Stichtagsregelung will.
 
Die Initiatoren der Gesetzentwürfe sind der Ansicht, das Zuwanderungsgesetz 2005 habe einem seiner Anliegen, nämlich Fälle von Kettenduldungen zumindest zu minimieren, bislang nicht entsprochen. Die Fraktion Die Linke bezieht sich auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 7. Dezember 2005 (BT-Drs. 16/307, externer Link zu PDF-Dokument). In der Begründung des Entwurfes heißt es:
 
?Seit der Änderung des Asylrechts 1993 hat die Zahl der sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhaltenden Personen, die lediglich über eine Duldung oder als Asylsuchende über eine Aufenthaltsgestattung verfügen, stetig zugenommen. Gleichzeitig befindet sich unter den geduldeten Personen bzw. solchen, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können, eine beträchtliche Anzahl Personen, deren Duldung immer wieder verlängert wird, die aber keinen Aufenthaltstitel erhalten (sog. Kettenduldung). Nach Angaben der Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. (Bundestagsdrucksache 16/307) hielten sich am 30. November 2005 insgesamt 53 421 Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet auf, davon der weit überwiegende Teil mit einer Duldung (47 995; mit Aufenthaltsgestattung 5 426). Rechnet man die Gruppen mit kürzeren Stichtagen hinzu, hielten sich am 30. November 2005 seit rund zwei Jahren und länger 215 497 Menschen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet auf.?
 
Unterstützt wissen sich die Initiatoren laut der Begründung des Entwurfes der Fraktion die Linke unter anderem von PRO ASYL.
 
In der Tat sollte das Zuwanderungsgesetz 2005 unter anderem dazu dienen, das Problem der Kettenduldungen zu lösen (so auch VAH 25.5.2). Maßgebliche Stimmen aus ausländerrechtlicher Praxis und Schrifttum stehen den gefundenen Lösungen in § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG jedoch anders als Bündnisgrüne und Linksfraktion positiv gegenüber. Insbesondere wird davon ausgegangen, dass bereits die Sollvorschrift des § 25 Abs. 5 AufenthG einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründet, sofern nicht atypische Verhältnisse im Einzelfall gegeben sind (Renner, AuslR, München, 8. Auflage 2005, Rn 37; zur positiven Einschätzung der Neuregelung durch das ZuwanderungsG dort auch Rn 22). Andererseits ist den Entwürfen die Regelungsperspektive im Hinblick auf unbegleitete Minderjährige zugute zu halten, die in einem sehr sensiblen Bereich Rechtssicherheit schaffen könnte (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 30.03.1999 - Bf VI 25/96, NVwZ-RR 2000, 116 ff.).
 
Die CDU-/CSU-Fraktion sieht derzeit keinen Anlass, der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Evaluierung der Regelungen des Zuwanderungsgesetzes vorzugreifen und lehnt die Aufnahme einer neuen Vorschrift wie der vorgeschlagenen ab. Alles weitere wird somit von der Behandlung der Entwürfe in den Ausschüssen abhängen.