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Bundestag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend berät über Vorgehen gegen Zwangsverheiratungen

BERLIN – Heute läuft die Frist zur Übermittlung der vorbereitenden schriftlichen Stellungnahmen ab, die der Ausschuss des Deutschen Bundestages den geladenen Expertinnen und Experten gesetzt hat, die an der Anhörung am 19. Juni 2006 zu dem Thema "Bekämpfung von Zwangsheirat" teilnehmen sollen. Gegenstand der Anhörung sind diesbezügliche Anträge der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und FDP.

Der Antrag der Bündnisgrünen unter dem Titel "Zwangsverheiratung bekämpfen – Opfer schützen" (BT-Drs. 16/61), der mit Beschluss vom 15. Dezember 2005 an den Ausschuss überwiesen wurde, enthält nach einer Einführung hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten der Zwangsehen in Deutschland die Aufforderung an den Bundestag zu beschließen, dass er "weiterhin den Vorschlag der Innenministerkonferenz vom Juni 2005 ab[lehne], Zwangsehen auch durch ein Heraufsetzen der Altergrenze für den Ehegattennachzug auf 21 Jahre verhindern zu wollen. Dagegen gibt es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, schließlich hat das Bundesverfassungsgericht bereits vor Jahren Wartezeiten beim Ehegattennachzug als verfassungswidrig abgelehnt.

Die Verhinderung von Zwangsehen und Gewalt gegen Migrantinnen kann nur in Zusammenarbeit mit den Communities der Migrantinnen und Migranten erfolgreich sein. Innerhalb eines gleichberechtigten und respektvollen Dialogs müssen Frauenrechte und Schutz von Frauen vor Gewalt und Zwangsehen intensiv debattiert werden. Stigmatisierung führt nur zu weiterer Abgrenzung. Aber auch die Communities sind in der Pflicht, deutlich zu machen, dass Frauen und Männer die gleichen Rechte haben und dass Gewalt gegen Frauen und Kinder eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Verstöße hiergegen werden nicht toleriert."

Handlungsbedarf vor allem hinsichtlich strafrechtlicher Verfolgung, Opferrechten und Opferschutz

Änderungs-, Erhebungs- und Bewertungsbedarf sehen die Bündnisgrünen ausgehend davon im Bereich des strafrechtlichen Schutzes vor Zwangsverheiratungen, der Stärkung der Rechte der Betroffenen und der Verbesserung des Opferschutzes.

Hinter der Stärkung der Rechte der Betroffenen verbergen sich insbesondere aufenthaltsrechtliche Regelungsmodifikationen. § 25 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) soll dahingehend geändert werden, dass in Fällen von Zwangsheirat ein vorübergehender humanitärer Aufenthaltstitel erteilt werden kann. Die §§ 31 ff. AufenthG über den Familien- und Ehegattennachzug sollen dahingehend überarbeitet werden, dass den Frauen mehr selbständige Rechte gewährt werden. Sie sollen bei einer fremdbestimmten Ausreise auch die Möglichkeit einer Wiederkehr unter Wahrung ihres Status erhalten und unter erleichterten Bedingungen ihren Aufenthaltsstatus in Deutschland verfestigen können.Die FDP-Fraktion stellte ihrem Antrag den Titel "Zwangsheirat wirksam bekämpfen – Opfer stärken und schützen – Gleichstellung durch Integration und Bildung fördern" (BT-Drs. 16/1156) voran; die Überweisung an den Ausschuss erfolgte durch Beschluss des Bundestages vom 6. April 2006.

Darin heißt es: "Angesichts der zunehmend bekannt werdenden Fälle von Zwangsheirat und den „Ehrenmorden" (Schandemorden) als letzte Disziplinarmaßnahme der Familie ist es höchste Zeit, die Prävention und den Opferschutz auszubauen, die zivilrechtliche Stellung von Zwangsverheirateten zu stärken und zu überprüfen, ob eine umfassende strafrechtliche Verfolgung lückenlos gewährleistet ist. Gegenüber Zwangsehen und Straftaten kann es keine Toleranz unter dem Deckmantel der Multikulturalität geben. Der Wille zur Integration, der von Zugewanderten zu erwarten ist, beinhaltet, die deutsche Sprache zu erlernen sowie die Grundwerte unserer Verfassungs- und Rechtsordnung und das sich darauf ergebende Gesellschaftssystem zu akzeptieren und zu leben. Zu diesen Grundwerten gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Geschlechtergleichstellung gilt uneingeschränkt für Migrantinnen und Migranten und darf nicht mit dem Verweis auf andere Traditionen oder religiöse Besonderheiten außer Kraft gesetzt werden. Es ist im Übrigen keineswegs zutreffend, dass im Islam die Zwangsehe vorgesehen ist."

Die wesentlichen Änderungsvorschläge der FDP laufen im gesetzgeberischen und administrativen Bereich darauf hinaus, zunächst ebenfalls die faktisch-empirische Erkenntnisbasis über Zwangsehen zu vergrößern, sodann ein in sich stimmiges Integrationskonzept zu entwickeln und die bisherigen Rechtsänderungen auf ihre Effizienz zu untersuchen. Aufenthaltsrechtlich ist die FDP der Auffassung, dass § 31 AufenthG Grundlage für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht werden müsse, ohne dass es auf eine Wartezeit ankomme. Sie tritt ebenfalls dafür ein, das Recht auf Wiederkehr unter erleichterten Bedingungen zu gewähren. Auch ihr kommt es darauf an, eine fremdbestimmte Ausreise von § 51 AufenthG auszunehmen.

Ausgehend von diesen Anträgen will der Ausschuss mit den geladenen Expertinnen und Experten u. a. folgende Fragen erörtern:

- zum Faktenhintergrund:

"Wie können Zwangsverheiratungen, arrangierte Ehen und Verwandtenehen sinnvoll voneinander unterschieden werden? [...] Welche Studien und statistischen Erhebungen gibt es zur aktuellen Situation von Opfern von Zwangsverheiratung? Wie bewerten Sie diese hinsichtlich ihrer Aussagekraft?"

- zu den aufenthaltsrechtlichen Regelungen:

"Nicht eingebürgerte Betroffene, die in Deutschland mit einem Aufenthaltstitel leben und zur Zwangsheirat ins Ausland gebracht wurden, müssen spätestens nach sechs Monaten Aufenthalt im Ausland wieder nach Deutschland zurückkehren, da ansonsten ihr Aufenthaltsrecht erlischt (§ 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG). Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang eine grundsätzliche Aufhebung der Rückkehrfrist bzw. eine Verlängerung? [...] Sehen Sie in diesem Zusammenhang notwendigen Regelungsbedarf und wenn ja, wie sollte dieser ausgestaltet sein? [...] Wie bewerten Sie, unter Berücksichtung des sozialen und familiären Kontextes von Zwangsverheirateten, die Schaffung eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes bei der Auflösung der Ehe unter 2 Jahren oder ist Ihres Erachtens die Härtefallklausel in der Praxis ausreichend? [...] Wie lässt sich ein eigenständiger aufenthaltsrechtlicher Status für von Zwangsverheiratung Betroffenen erreichen, die nur eine Duldung besitzen beziehungsweise deren Ehepartner nur eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung besitzt? Inwieweit kann §25 AufenthG einen Zugang zu einem humanitären Schutzstatus eine Lösung für Betroffene bieten? [...] Wie bewerten Sie die derzeit diskutierte generelle Heraufsetzung des Nachzugsalters für EhepartnerInnen auf das 21. Lebensjahr, u.a. vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 1 GG? Würde eine solche Regelung einen Beitrag zur effektiven Verhinderung von Zwangsverheiratungen leisten? Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass eine solche, auf die Verhinderung von Zwangsverheiratungen abzielende Regelung sich auf alle binationalen Ehen beziehen würde?"

Weiter sollen Probleme und Perspektiven in Straf- und Zivilrecht sowie des Opferschutzes behandelt werden.

Unter den Expertinnen und Experten, mit denen der Ausschuss debattieren will, sind die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates, Autorin des Buches "Große Reise ins Feuer. Die Geschichte einer deutschen Türkin", die sich häufig auch zu dem Fall Hatun Sürücü zu Wort gemeldet hatte, Dr. Heiner Bielefeldt, der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, der zuletzt unter anderem auf der Fachtagung "Kinderrecht und Staatenpflicht" der Friedrich-Ebert-Stiftung sprach (Migrationsrecht.net berichtete), Sidar Demirdögen vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main, und Dagmar Freudenberg, die Vorsitzende der Kommission Gewalt gegen Frauen und Kinder im Deutschen Juristinnenbund.

Lesen Sie zu den Themen Zwangseheschließungen und Ehrenmorde auch die folgenden Artikel auf www.migrationsrecht.net:

Landgericht Berlin, Ehrenmord-Prozess, Hatun Sürücü, Urteil, Integrationsbeauftragter Piening

Zwangsehen, Gesetzesänderungen, Familienzusammenführungsrichtlinie

Zwangsheirat, Bericht, Altersgrenze, Justizminister Goll, Bundesinnenminister Schäuble, SPD

Einbürgerungstests Hessen, Baden-Württemberg: Debatte im Bundestag