Böhmer: Erst Deutsch, dann Nachzug

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Die Diskussionen darum, ob nach Deutschland nachziehende Ehegatten bereits in der Türkei einen Deutschtest ablegen sollen, bevor sie hier eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, gehen weiter. Die liberale MILLIYET berichtet als Aufmacher ihrer heutigen Europa-Ausgabe, dass die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer weiterhin darauf „beharre“, dass bereits in der Türkei ein Deutschtest durchgeführt und dass das Alter für nachziehende Ehepartner auf 21 Jahre erhöht werde. Widerstand gegen die Pläne gibt es nach Angaben der Zeitung von der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), die Ministerpräsident Erdogan diesbezüglich einen Brief habe zukommen lassen.

Vereinbarkeit des Pflichtsprachtests mit der Familienzusammenführungsrichtlinie

Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten verlangen können, dass die Drittstaatsangehörigen, die in das Bundesgebiet zuziehen wollen, „Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen“. Diese Bestimmung lässt unmittelbar aufgrund des Wortlauts nicht den Schluss zu, ob die Integrationsmaßnahmen vor dem Zuzug erfolgen müssen oder ob von den nachziehenden Familienangehörigen verlangt werden kann, dass sie nach dem Zuzug Integrationsmaßnahmen zu erfüllen haben. Die Regelung des Art. 7 Abs. 2, 2. Unterabsatz der Richtlinie bringt jedoch insoweit Klarheit. Denn dort ist geregelt, dass im Hinblick auf die in Art. 12 der Richtlinie genannten Flüchtlinge und/oder Familienangehörigen von Flüchtlingen die im zuvor genannten Unterabsatz genannten Integrationsmaßnahmen erst Anwendung finden, wenn den betroffenen Personen eine Familienzusammenführung gewährt wurde. Ist eine Ausnahmeregelung für Flüchtlinge dergestalt aufgenommen worden, dass ihnen Integrationsmaßnahmen erst auferlegt werden können, wenn sie im Wege der Familienzusammenführung in das Bundesgebiet eingereist sind, so ergibt sich hieraus unmittelbar, dass die Grundregelung es den Mitgliedstaaten auch ermöglichen soll, den Zuzug davon abhängig zu machen, dass die nachziehenden Familienangehörigen bereits in ihrem Heimatland an Integrationsmaßnahmen teilgenommen haben.
Auch wenn der Nachweis der Teilnahme an Integrationsmaßnahmen zur Nachzugsvoraussetzung erhoben werden darf, ist zweierlei zu beachten:
* Zum einen gestattet die Richtlinie nur, den Nachzug von der Teilnahme an Integrationsmaßnahmen im Heimatland abhängig zu machen, ohne dass hiermit der Erwerb eines bestimmten Sprachniveaus zu einer Nachzugsbedingung gemacht werden darf.
* Zum anderen können Familienangehörige nur dann auf Integrationsmaßnahmen in ihrem Heimatland verwiesen werden, wenn entsprechende Maßnahmen überhaupt angeboten und erreichbar sind.

Bei der Auslegung der Richtlinienbestimmung ist daher zu beachten, dass anders als im Rahmen des Art. 4 Abs. 1, 3. Unterabsatz der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht die Erfüllung bestimmter Nachzugskriterien, d. h. konkreter Nachzugsbedingungen, verlangt werden kann, sondern nur die Teilnahme an einer „Maßnahme“.

Neben diesen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken ist die beabsichtigte Neuregelung auch im Hinblick auf Art. 6 GG problematisch. Führt die Nachzugsvoraussetzung zu einer dauerhaften Trennung der Ehegatten, ohne dass eine Härtefallregelung oder ein Ermessensspielraum eine Einzelfallentscheidung ermöglicht, so ist dieses Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. 

Wegen weiter Einzelheiten siehe ebook Familienzusammenführungsrichtlinie

https://www.migrationsrecht.net/ebooks-auslaenderrecht/ebooks-auslaenderrecht_4.html