Wenn Experten in den Innenausschuss berufen werden, dann kann die Politik, aber auch die Öffentlichkeit, erwarten, dass diese Sachkunde haben und bereit sind, sachkundig Auskunft zu geben. Die Innenausschusssitzung am letzten Montag zum Gesetzentwurf zur erleichterten Ausweisung von Flüchtlingen als Reaktion auf die Vorkommnisse in der Silvesternacht in Köln wirft die Frage auf: Wussten die Sachverständige es nicht besser oder wollten sie den Gesetzentwurf nicht kritisieren? Da Sachverständige keine „Lohnschreiber“ sind, es jedenfalls nicht sein sollten, mag es zum Teil an der Bereitschaft gefehlt haben, Kritik an dem Gesetzentwurf zu äußern. Wie der Gesetzgeber dann aber auf Fehler aufmerksam werden kann und die Möglichkeit erhält, wenn er denn will, diese zu korrigieren, bleibt unerfindlich.
Als Beispiel können etwa die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Kluth im Hinblick auf die Ausweisung von Flüchtlingen aufgrund des neuen Ausweisungstatbestands herangezogen werden. Völlig unverständlich ist, wenn die Vereinbarkeit des Entzugs eines Aufenthaltstitels eines Flüchtlings auf Grundlage des neuen Ausweisungstatbestandes als mit dem Europa- und Völkerrecht postuliert wird. Man wird von einem im Migrationsrecht spezialisierten Hochschullehrer erwartet können, dass er die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24.06.2015 – C-373/13 – H. T. kennt. Dort hat der Gerichtshof ausführlich dargelegt, wann der Entzug eines Aufenthaltstitels bei einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 erfolgen kann. Der Gerichtshof hat betont, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen. Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten. Er fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 – Tsakouridis -). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.
Dieser Gefahrenmaßstab hat nichts, aber auch gar nichts, mit den Tatbestandsvoraussetzungen des neuen Ausweisungsinteresses zu tun, den der Sachverständige Kluth großzügig als mit Unionsrecht für vereinbar erklärt. Aber auch der Sachverständige Prof. Dr. Thym kommt nicht zu dem Ergebnis, dass der neue Ausweisungstatbestand, mit Blick auf die Gefahrenanforderungen der Qualifikationsrichtlinie völlig unzureichend ist. Dies ist umso bemerkenswerter, als er ausdrücklich auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union Bezug nimmt. Elegant wird dem Problem ausgewichen und darauf hingewiesen, dass der Behördenbedienstete ja eine Einzelfallentscheidung treffen müsse, in der das Ausweisungsinteresse nur einen Bestandteil der Abwägung darstelle. Dies ist zwar richtig, jedoch lassen die Ausführungen die zwingende Feststellung vermissen, dass das Ausweisungsinteresse in der abgefassten Form des neuen Ausweisungsinteresses niemals bei Flüchtlingen zur Anwendung gelangen kann, soweit dieses auf Eigentumsdelikte und Verurteilungen von Gesamtstrafen von einem Jahr abstellt.
Es fällt dann auch nicht mehr weiter ins Gewicht, dass von dem Sachverständigen Prof. Dr. Kluth behauptet wird, der Ausweisungstatbestand knüpfe mit dem Strafrahmen an ein Verbrechen an. Hier wäre eine klare Aussage mehr als angebracht gewesen, dass der Gesetzentwurf nicht an eine Einzeltat anknüpft, sondern es ausreichen lässt, wenn mehrere Strafen zu einer Freiheitstrafe von einem Jahr führen. Mehrere Eigentumsdelikte mit einer Einzelstrafe von 4 Monaten können daher ohne weiteres zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr führen; mit dem Verbrechensbegriff hat dies aber gerade nichts zu tun.
Möglicherweise ist eine Anhörung – wie die am Montag – das Ergebnis einer Politik, die schon durch die Verfahrensweise deutlich macht, dass ihr ohnehin alles, was gegen die Regelungen vorgebracht wird, egal ist. Hauptsache der Öffentlichkeit wird suggeriert: „Wir tun was!“
Mainz, den 23.02.2016
Dr. Klaus Dienelt