Der Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern vom April 2014 zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung dient maßgeblich der Reform des Bleiberechts sowie der Modernisierung des Ausweisungs- und Abschiebungsrechts.
Das geltende Recht sieht die Duldung für ausreisepflichtige Ausländer vor, deren Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und denen keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird (§ 60a Absatz 2 Satz 1). Die Duldung lässt die Ausreisepflicht unberührt (§ 60a Absatz 3) und ist zu widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen (§ 60a Absatz 5 Satz 2). Zumeist handelt es sich bei Geduldeten um abgelehnte Asylbewerber oder um Ausländer, die illegal eingereist sind bzw. nach einer legalen Einreise und späterem Ablauf ihres Aufenthaltsrechts illegal in Deutschland verblieben sind. Die tatsächliche oder praktische Unmöglichkeit ihrer Abschiebung beruht in der Praxis regelmäßig auf einem der folgenden Gründe: ungeklärte Identität, Passlosigkeit, rückführungspolitische Kooperationsunwilligkeit der Herkunftsstaaten, Krankheit, familiäre Bindungen (Artikel 6 GG). Nach Wahrnehmung aus der ausländerbehördlichen Praxis ist die Unmöglichkeit der Abschiebung in vielen Fällen auf das eigene Verschulden der Betroffenen zurückzuführen (v.a. bewusste Identitätstäuschungen, Unterdrückung von Reisepapieren bzw. Verweigerung der Mitwirkung an der Passbeschaffung).
Das geltende Recht nimmt in Bezug auf eine mögliche Aufenthaltslegalisierung daher einen restriktiven Ansatz ein und verzichtet nur ausnahmsweise bei Fallkonstellationen, in denen gewichtige Gründe vorliegen, auf den „primären" (auf die Rückführung von Ausländern gerichteten) Steuerungsanspruch. An diesem Grundsatz wird festgehalten, da die Legalisierung des Aufenthalts Geduldeter auch weiterhin an die Erfüllung bestimmter Voraussetzungen geknüpft bleibt. Ein Aufenthaltsrecht ohne die im Kern zu erfüllende Voraussetzung der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung oder aufgrund reinen Zeitablaufs würde eine Aufgabe des Anspruchs einer staatlich kontrollierten Zuwanderung bedeuten.
Das Aufenthaltsgesetz sieht bislang neben den auf einen eng begrenzten Personenkreis zugeschnittenen Vorschriften der §§ 18a, 25a allerdings keine stichtagsunabhängige Regelung vor, um erfolgreiche wirtschaftliche Integrationsleistungen, die trotz des fehlenden rechtmäßigen Aufenthaltes erbracht wurden, durch Erteilung eines gesicherten Aufenthaltsstatus zu honorieren.
Die gesetzliche Lücke im geltenden Aufenthaltsrecht ist vor diesem Hintergrund durch eine alters- und stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung im Aufenthaltsgesetz - § 25b Aufenthaltsgewährung bei erfolgreicher wirtschaftlicher Integration - zu schließen.
Darüber hinaus sind die bisherigen, eng gefassten Erteilungsvoraussetzungen in § 25a Absatz 1 Satz 1 von verzichtbaren Hemmnissen zu bereinigen. Der Zeitpunkt der Antragstellung wird auf 27 Jahre heraufgesetzt.
Das Ausweisungsrecht wird grundlegend neu geordnet. An die Stelle des bisherigen dreistufigen Ausweisungsrechts tritt die Ausweisung als Ergebnis einer am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durchgeführten Abwägung von privaten Bleibeinteressen und öffentlichen Ausweisungsinteressen. Den Modifikationen, die das Ausweisungsrecht durch höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Vorgaben höherrangigen Rechts, insbesondere des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), erfahren hat, werden im Rahmen des privaten Bleibeinteresses berücksichtigt. Auf diese Weise werden Rechtsunsicherheiten beseitigt und so das Ausweisungsrecht für die zuständigen Behörden leichter handhabbar gemacht.
Innerhalb der Wertungen des öffentlichen Ausweisungsinteresses bringt der Gesetzentwurf zum Ausdruck, dass die Bekämpfung von extremistischen und terrorismusrelevanten Strömungen auch mit den Mitteln des Ausländerrechts erfolgen muss. Auch die Ausweisung von Ausländern, die gravierende Rechtsverstöße begangen haben, wird erleichtert, indem klargestellt wird, dass diese Verstöße zu einem besonders schwerwiegenden Interesse an der Ausweisung führen können. Die das Ausweisungsrecht betreffenden Regelungen umfassen insbesondere:
– Neuordnung des Ausweisungsrechts am Maßstab einer Abwägung von öffentlichen und privaten Interessen.
– eine Anpassung der Regelungen zur Überwachung von Ausländern, die aufgrund von besonders schwerwiegenden öffentlichen Interessen ausgewiesen worden sind, um Sicherheitslücken zu schließen (Ergänzung des Kommunikationsmittelverbots nach § 54a Absatz 4 AufenthG um ein Kontaktverbot, Aufrechterhaltung der Überwachungsmaßnahmen auch während der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Ausweisung).
Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf verschiedene Rechtsänderungen vor, durch die der Vollzug aufenthaltsrechtlicher Entscheidungen verbessert werden soll, indem Verfahrensabläufe erleichtert und bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigt werden. Diese für die ausländerbehördliche Praxis wichtigen Änderungen umfassen insbesondere:
– eine Anpassung der Regelung zur Identitätsklärung nach § 48 Absatz 3 AufenthG an die technischen Entwicklungen (Auslesen von Datenträgern),
– die gesetzliche Definition der Fluchtgefahr,
– eine Klarstellung in den Regelungen zur sog. „kleinen Sicherungshaft" gemäß § 62 Absatz 3 Satz 2 AufenthG, dass kurzfristige Freiheitsentziehungen auch dann zulässig sind, wenn keiner der Haftgründe des § 62 Absatz 3 Satz 1 AufenthG nachgewiesen werden kann,
– einen Verzicht auf das Erfordernis des Einvernehmens mit der Staatsanwaltschaft als Voraussetzung für die Ausweisung und Abschiebung (§ 72 Absatz 4 AufenthG), wenn das jeweilige Strafverfahren allein aufenthaltsrechtliche Straftaten nach § 95 AufenthG oder § 9 FreizügG/EU oder deren typische Begleitdelikte mit betrifft,
– eine Klarstellung, dass jedenfalls eine vorläufige Freiheitsentziehung gerichtlich auch dann ohne eine vorherige Anhörung des Betroffenen angeordnet werden kann, wenn zu befürchten ist, dass die Anhörung den Zweck der Freiheitsentziehung gefährden würde (§ 427 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, FamFG),
– eine Ergänzung der Übermittlungstatbestände des § 87 Absatz 2 AufenthG um Fälle des Sozialleistungsbezugs.
Weiterhin werden durch den Gesetzentwurf auch die Regelungen zum Einreise- und Aufenthaltsverbot in § 11 AufenthG an die Hinweise der höchstrichterlichen Rechtsprechung angepasst und grundlegend überarbeitet. So ist vorgesehen, dass eine Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots von Amts wegen erfolgt. Außerdem wird die Möglichkeit geschaffen, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot auch für den Fall der Nichteinhaltung einer Ausreisefrist oder der Einreise in der Absicht, Sozialleistungen zu beziehen, zu verhängen.
Insgesamt zielen die Änderungen auf eine schnellere Beendigung des Aufenthalts von Ausländern ab, denen kein Aufenthaltsrecht zusteht, um insoweit den Verwaltungsaufwand bei den zuständigen Behörden und die Inanspruchnahme von öffentlichen Leistungen zu verringern.
Daneben wird das erfolgreiche deutsche Programm zur Neuansiedlung von Flüchtlingen (Resettlement-Programm) nach dem Abschluss seiner Pilotphase fortgesetzt und verstetigt. Dies entspricht einem Beschluss der Herbstkonferenz der Innenminister und -senatoren der Länder und geschieht in Erfüllung des Koalitionsvertrages. Damit wird zukünftig besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen in Zusammenarbeit mit dem UNHCR in Deutschland eine dauerhafte Lebensperspektive geboten. Da Resettlement künftig ein fest institutionalisiertes Programm zur Neuansiedlung von Flüchtlingen in Deutschland sein wird, soll eine speziell auf diese Form der Zuwanderung aus humanitären Gründen zugeschnittene Regelung die Voraussetzungen und Folgen sowie Privilegierungen - vor allem beim Familiennachzug - normieren.
Im Bereich des Aufenthalts aus humanitären Gründen wird zudem eine Verbesserung des Aufenthaltsrechts für die Opfer von Menschenhandel realisiert.
Zur weiteren Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens und um Missbrauch weitestgehend auszuschließen, wird es als erforderlich erachtet, eine Überprüfung von im Visumverfahren tätigen, nicht dem Auswärtigen Amt angehörenden Personen und Unternehmen unter Zuhilfenahme der Informationen und Erkenntnisse der deutschen Sicherheitsbehörden durchzuführen, um deren Zuverlässigkeit überprüfen zu können.
Es sind Änderungen im nationalen Recht erforderlich, um die Berechnungsweise eines Kurzzeitaufenthaltes im nationalen Recht an die neuen schengenrechtlichen Regelungen anzupassen.
Darüber hinaus wird die parallele Erteilung mehrerer Aufenthaltstitel bzw. eines Aufenthaltstitels zu mehreren Zwecken ausgeschlossen, sofern im Aufenthaltsgesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.