Erlass regelt Härtefallklausel hinsichtlich der Sprachanforderungen beim Familiennachzug zu türkischen Staatsangehörigen.

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Mit einem Runderlass vom 4. August 2014 will das Bundesinnenministerium die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Dogan in die Verwaltungspraxis umsetzen. Der Erlass basiert im Kern auf der Einführung einer Härtefallregelung, mit der geregelt wird, wann Familienangehörige türkischer Staatsangehöriger ohne einfache Sprachkenntnisse ins Bundesgebiet einreisen dürfen.

Eine Härtefall wird in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerwG zum Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen definiert.

Die Unzumutbarkeit kann sich u.a. daraus ergeben, dass es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oderwegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache innerhalb angemessener Zeit zu erlernen.

In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um. Die Grenze zwischen Regel- und Ausnahmefall ist nach der Überzeugung des Senats bei einer Nachzugsverzögerung von einem Jahr zu ziehen (BVerwG, U. v. 04.09.2012 – 10 C 12/12 – BVerwGE 144, 141, Rn. 28). Sind zumutbare Bemühungen zum Erwerb der Sprachkenntnisse ein Jahr lang erfolglos geblieben, darf dem Visumbegehren des Ehegatten eines Deutschen das Spracherfordernis nicht mehr entgegen gehalten werden. Entsprechendes gilt, wenn dem ausländischen Ehepartner Bemühungen zum Spracherwerb von vornherein nicht zumutbar sind, etwa weil Sprachkurse in dem betreffenden Land nicht angeboten werden oder deren Besuch mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist
und auch sonstige erfolgversprechende Alternativen zum Spracherwerb nicht bestehen; in diesem Fall braucht die Jahresfrist nicht abgewartet zu werden (BVerwG, U. v. 04.09.2012 – 10 C 12/12 – BVerwGE 144, 141, Rn. 28).
Bei der Zumutbarkeitsprüfung sind insbesondere

  • die Verfügbarkeit von Lernangeboten,
  • deren Kosten,
  • ihre Erreichbarkeit sowie
  • persönliche Umstände

zu berücksichtigen, die der Wahrnehmung von Lernangeboten entgegenstehen können, etwa Krankheit oder Unabkömmlichkeit (BVerwG, U. v. 04.09.2012 – 10 C 12/12 – BVerwGE 144, 141, Rn. 28). Das erforderliche Bemühen zum Spracherwerb kann auch darin zum Ausdruck kommen, dass der Ausländer zwar die schriftlichen Anforderungen nicht erfüllt, wohl aber die mündlichen.
Führt die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall zu dem Ergebnis, dass vom Nachweis des Spracherfordernisses nach § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor der Einreise abzusehen ist, ist bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen das Visum zum Ehegattennachzug nach § 6 Abs. 3 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen (BVerwG, U. v. 04.09.2012 – 10 C 12/12 – BVerwGE 144, 141, Rn. 29).

Die erfolgte Umsetzung beruht auf der Ansicht, dass der EuGH die bestätigt und anerkannt habe, dass die Sprachprüfung im Ausland aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zulässig wäre.

Ob die von der deutschen Regierung angeführten Gründe – die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen und die Förderung der Integration – zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen können, wurde vom EuGH aber ausdrücklich offengelassen. Der Gerichtshof stellt mit der Entscheidung letztlich nur klar, dass die Ausgestaltung der Sprachprüfung offensichtlich unverhältnismäßig sei, weil sie keine umfassende Einzelfallprüfung ermöglichen würde. Daher ist keinesfalls sichergestellt, dass die Abwehr von Zwangsehen durch Sprachtests einen legitimen Zweck darstellt und bereits die Einführung einer Härteklausel zu einem europrechtskonformen Ergebnis führt.

Hier erscheint jedenfalls ein Hinweis auf die Schlussanträge des Generalwalts Mengozzi vom 30.4.2014 – C-138/13 – EU:C:2014:287, Rn. 42 angebracht:

"42. Auch wenn man aber mit der deutschen Regierung annähme, dass diese den Zweck der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anführen könne, der die Beschränkungen nach Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls rechtfertige, und dass die im Ausgangsverfahren fragliche Maßnahme zur Verfolgung dieses Ziels geeignet sei, bezweifle ich jedoch ihre Verhältnismäßigkeit. Meines Erachtens ist eine Maßnahme unverhältnismäßig, die eine Familienzusammenführung im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats unbegrenzt lange hinauszuschieben vermag und vorbehaltlich einer beschränkten Zahl abschließend festgelegter Ausnahmen unabhängig davon Anwendung findet, wie die Gesamtheit der relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Auch teile ich nicht die Auffassung der deutschen Regierung, dass alternative Maßnahmen, z. B. die Verpflichtung zur Teilnahme an Integrations- und Sprachkursen nach der Einreise in das deutsche Hoheitsgebiet für die Verhinderung der sozialen Ausgrenzung der Opfer von Zwangsverheiratungen nicht genauso wirksam seien wie der vorherige Erwerb von Sprachkenntnissen. Im Gegenteil würde eine solche Verpflichtung diese Personen dazu veranlassen, aus ihrem familiären Umfeld herauszutreten, wodurch ihr Kontakt mit der deutschen Gesellschaft erleichtert würde. Ihre Familienangehörigen, die Zwang auf sie ausüben, wären ihrerseits gezwungen, einen solchen Kontakt zuzulassen, der ohne eine solche Verpflichtung trotz vorhandener Grundkenntnisse der deutschen Sprache konkret behindert werden könnte. Außerdem könnten regelmäßig unterhaltene Beziehungen zu für die Durchführung der genannten Sprachkurse verantwortlichen Einrichtungen und Personen dazu beitragen, günstige Voraussetzungen für ein spontanes Hilfeersuchen der Opfer zu schaffen und die Feststellung von Situationen, die ein Eingreifen erfordern, und deren Anzeige an die zuständigen Behörden erleichtern."

Gegen die Gleichsetzung der Ausnahmeregelung für die Sprachanforderungen zum Nachzug zu Deutschen und zum Nachzug zu türkischen Staatsangehörigen spricht, dass die Rechtsprechung des BVerwG dem Zweck diente eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, obwohl die Erteilungsvoraussetzungen nicht vorlagen. Die Härtefallrechtsprechung ist daher entwickelt worden, um ein fehlendes Tatbestandsmerkmal zu kompensieren. Demgegenüber geht es bei türkischen Staatsangehörigen um die Beschränkung eines bestehenden Anspruchs. Denn der Familienangehörige eines türkischen Staatsangehörigen, der sich auf die Stillhalteklausel berufen kann, erfüllt sämtliche Erteilungsvoraussetzungen nach dem anzuwendenden alten Ausländerrecht für einen Familiennachzug. 

Mainz, den 25.08.2014