Die Zulässigkeit eines Leistungsausschluss für Personen, die ihr Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ableiten, ist unionsrechtlich noch nicht abschließend geklärt. Erfasst werden Kinder von (ehemaligen) EU-Arbeitnehmern, die sich in einer Ausbildung befinden. Sie und Familienangehörige, die die tatsächliche Personensorge ausüben und damit die Ausbildung überhaupt erst ermöglichen, haben unmittelbar auf der Grundlage des Art. 10 VO (EU) 492/2011 ein Aufenthaltsrecht. Diese Regelung ist insbesondere deshalb in den Fokus des Gesetzgebers geraten, weil Unionsbürger mit der Einschulung ihrer Kinder ein Aufenthaltsrecht erwerben, welches nur an die Erbringung der tatsächlichen Personensorge geknüpft ist. Der Bezug von Sozial(hilfe)leistungen ist nach der Rechtsprechung des EuGH unschädlich. Da der Leistungsbezug grundsätzlich bis zur Beendigung der Schulausbildung andauern kann, ist ein jahrelanger Leistungsbezug möglich. Offensichtlich Grund genug für den Gesetzgeber, um sofort einzuschreiten.
Kernpunkt der bisherigen EuGH-Rechtsprechung zum Leistungsausschluss bildet Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie. SGB II-Leistungen sind zwar „besondere beitragsunabhängige Sozialleistungen“ i. S. d. Art. 4, Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 VO (EG) 883/2004 sind, jedoch stehen Art. 24 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie oder Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 4 VO (EG) 883/2004 dem Leistungsausschluss nicht entgegen, wenn diese „beitragsunabhängigen Sozialleistungen“ zugleich – wie das SGB II – als Leistungen der „Sozialhilfe“ i. S. d. Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie einzustufen sind.
Die Ermächtigung zur Ungleichbehandlung in Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie erstreckt sich ausdrücklich nur auf einen Unionsbürger „der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält“. Da der EuGH sowohl das eigenständige als auch das abgeleitete Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO (EU) 492/2011 ausdrücklich nicht aus der Unionsbürgerrichtlinie ableitet hat, unterfällt es auch nicht der Regelung des Art. 24 Abs. 2 dieser Richtlinie.
Es spricht daher vieles dafür, dass der Ausschluss jedenfalls von Leistungen des SGB II für diesen Personenkreis gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstößt. Denn auch nach der Rechtsprechung des EuGH darf dieses Diskriminierungsverbot nur dann eingeschränkt werden, wenn es hierfür eine ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage im Unionsrecht gibt. Eine derartige Rechtsgrundlage findet sich aber bislang nur in Art 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie.
Die dargelegten Gründe dürften insgesamt dafür sprechen, dass die im Gesetzentwurf vorgesehenen Leistungsausschlussregelungen in § 7 Abs. 1 Nr. 2c SGB II und § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB XII (soweit dies Aufenthaltsrechte auf Grundlage des Art. 10 VO (EU) 492/2011) mit dem Gleichheitsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 unvereinbar sind.
Mainz, 5.12.2016