Der Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern für ein Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 16.11.2015 wird erneut erhebliche Änderungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts mit sich bringen. Ziel der Regelungen ist es, die Asylverfahren von Asylbewerbern, deren Anträge nur geringe Erfolgsaussichten haben, weiter zu beschleunigen. Es knüpft damit an das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober (BGBl. I S. 1722) an.
Mit dem Gesetzentwurf soll zudem sichergestellt werden, dass Asylbewerber die staatliche Entscheidung über ihren örtlichen Aufenthalt befolgen und Rückführungen kranker Personen erleichtert werden. Ferner soll ein Kosteneigenbeitrag für die Bezieher von AsylbLG, SGB 11 und SGB XII bei Teilnahme an Sprach- und Integrationskursen eingeführt werden.
Für bestimmte Asylbewerber wird ein beschleunigtes Verfahren eingeführt. Dazu gehören unter anderem Antragsteller aus sicheren Herkunftsstaaten oder Folgeantragsteller. Sie sollen in besonderen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Über ihre Anträge entscheidet das Bundesamt innerhalb von einer Woche. Anschließend können sie innerhalb von einer Woche Eilrechtsschutz gegen eine ablehnende Entscheidung einlegen. Das Verwaltungsgericht entscheidet dann innerhalb einer Woche über den Antrag. Für die Dauer des Verfahrens und im Falle einer Ablehnung auch bis zu Rückführung ist der Aufenthalt des Ausländers auf den Bezirk der Ausländerbehörde begrenzt, in dem die zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt. Verstößt der Ausländer schuldhaft gegen diese räumliche Beschränkung, wird sein Verfahren eingestellt und kann nur einmal und nur innerhalb von neun Monaten ohne Verfahrensnachteile wieder aufgenommen werden.
Außerdem soll die Beschränkung des Familiennachzugs eingeführt werden. Aufgrund der extrem hohen Zuzugszahlen von Schutzsuchenden und der hohen Anerkennungsquoten bei bestimmten Herkunftsländern, entsteht den Mitgliedern der Kernfamilie nach geltendem Recht ein Nachzugsanspruch der hier anerkannten Personen, der nahezu voraussetzungslos ist. In der ausländerbehördlichen Praxis rechnet man angesichts der Struktur der derzeit Deutschland erreichenden Migranten mit dem Faktor 3-4 bei Berücksichtigung des Familiennachzugs im Rahmen der bisherigen Entscheidungspraxis des BAMF und bei Beibehaltung der geltenden Rechtslage. Die daraus resultierende Dimension des künftigen Zuzugs, der derzeit in erster Linie aufgrund der faktisch begrenzten Antragsmöglichkeiten in den Auslandsvertretungen verzögert ist, ist gesellschaftspolitisch schwer darstellbar. Die Auswirkungen des Massenzustroms auf die Infrastruktur des Landes sowie die Integrations- und Aufnahmefähigkeit werden zusehends unkalkulierbar. Daher ist nach Auffassung der Koalition die Privilegierung des Nachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, ohne dass für ausreichenden Lebensunterhalt der Nachziehenden gesorgt wäre, nicht länger tragbar.
Mit der Aufnahme des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten in die Vorschrift des § 29 Absatz 2a wird verdeutlicht, dass der Nachzug nicht etwa gänzlich abgeschafft, sondern unter die strengeren Voraussetzungen des Nachzugs zu Personen mit humanitärem Aufenthaltstitel gefasst wird, wie dies auch bereits bis zum 1. August 2015 geregelt war. Durch diese Verschiebung wird gleichzeitig bewirkt, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 - insb. die Sicherung des Lebensunterhaltes - Anwendung finden.
Die Praxis zeigt, dass bei anstehenden Abschiebungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer häufig eine angeblich unzureichende medizinische Versorgung im Herkunftsland als zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis geltend gemacht wird. Mit der Bewertung solcher Vorträge sind die zuständigen Behörden und die Gerichte im praktischen Umgang überfordert, da profunde Kenntnisse der gesundheitlichen Versorgung je nach Herkunftsland bei den inländischen Behörden nicht immer vorhanden sein können. Eine Benennung derjenigen Staaten, die eine ausreichende Versorgung gewährleisten, reduziert daher den Prüfungsaufwand bei den zuständigen inländischen Behörden. Der Maßstab der ausreichenden ärztlichen Versorgung setzt nicht voraus, dass die gesundheitliche Betreuung im Herkunftsland der Situation in Deutschtand oder in der Europäischen Union gleichwertig ist. Die Abschiebung in diesen Staat darf aber nicht dazu führen, dass sich die Krankheit des Ausländers mangels Behandlungsmöglichkeit in einem Ausmaß verschlechtern wird, dass ihm eine individuell konkrete, lebensbedrohliche Gefahr an Leib und Leben droht. Dies kann ausnahmsweise der Fall sein. Dem Ausländer ist es zumutbar, sich in einen bestimmten Teil des Zielstaats zu begeben, in dem die ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet ist. Es kommt nicht darauf an, dass alle Landesteile gleichermaßen eine ausreichende Versorgung bieten. Inländische Gesundheitsalternativen sind ggf. aufzusuchen. Eine ausreichende medizinische und gesundheitliche Versorgung ist jedenfalls bei allen Staaten der Europäischen Union bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums, den Staaten mit Beitrittskandidatenstatus, der Staatengruppe der so genannten G 20 und der Europäische Region der WHO gegeben. Darüber hinaus besteht eine ausreichende Versorgung in den in der Anlage zum Aufenthaltsgesetz benannten Staaten.
Sofern ein Herkunftsland nicht Teil dieser Auflistung ist, muss im Einzelfall - unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes - festgestellt werden, ob eine Abschiebung dennoch möglich ist. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die zuständigen Behörden im Herkunftsland vor der Abschiebung eine sich anschließende Versorgung, z.B. durch Vertrag mit einem Arzt oder Krankenhaus, gewährleisten. Bei allen nicht in der Verordnung genannten Staaten gilt die medizinische Versorgung als ausreichend und steht daher einer Abschiebung des Ausländers nicht entgegen.
Die Geltendmachung von Abschiebungshindernissen in gesundheitlicher Hinsicht stellt die zuständigen Behörden quantitativ und qualitativ vor große Herausforderungen. Oftmals werden Krankheitsbilder angesichts der drohenden Abschiebung vorgetragen, die im vorangegangenen Asylverfahren nicht berücksichtigt worden sind (vgl. Bericht der AG Vollzugsdefizite von April 2015). Nach den Erkenntnissen der Praktiker werden insbesondere schwer diagnostizier- und überprüfbare Erkrankungen psychischer Art (z.B. Posttraumatische Belastungsstörungen [PTBS]) sehr häufig als inländisches Abschiebungshindernis (Vollzugshindernis) geltend gemacht, was in der Praxis zwangsläufig zu deutlichen zeitlichen Verzögerungen bei der Abschiebung führt. Der Gesetzgeber geht nunmehr davon aus, dass psychische Erkrankungen von bereits vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländern, denen auch kein humanitärer Aufenthaltstitel erteilt worden ist, insbesondere die häufig geltend gemachte PTBS, die Abschiebung und in concreto die Reisefähigkeit/Flugreisetauglichkeit nicht hindern. Etwas anderes kann ausnahmsweise nur in den Fällen schwerster psychischer Erkrankungen gelten, wenn die Abschiebung angesichts der Erkrankung eine Rückführung "sehenden Auges in den Tod" bedeuten würde. Dies kann in seltenen, eng umgrenzten Ausnahmen der Fall sein.
Mainz, 19.11.2015