Geplante Wiedereinreisesperre ist mit EU-Recht unvereinbar

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Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften (BT-Drucksache 18/2581) enthält neue Wiedereinreiseverbote im Falle des Rechtsmissbrauchs oder Betrugs. Die geplanten Neuregelungen sind

  • mit EU-Recht unvereinbar,
  • tatsächlich nicht erforderlich und
  • geeignet, die Effektivität behördlichen Handelns negativ zu beeinflussen.

Die nachfolgenden Ausführungen soll aufzeigen, weshalb die bestehenden gesetzlichen Regelungen vollständig ausreichen, um Fällen des Rechtsmissbrauchs oder Betrugs wirksam zu begegnen. Statt den Rechtsmissbrauch und Betrug wirksam zu bekämpfen, führen die neue Wiedereinreisesperren zur Rechtswidrigkeit ausländerrechtlicher Verfügungen, was die Bereitschaft der Ausländerbehörden zum Einzuschreiten erfahrungsgemäß solange reduziert, bis Klarheit über die europarechtskonforme Auslegung der Wiedereinreisesperren besteht.

Es besteht wenig Hoffnung, dass diese erkennbar EU-rechtswidrige Neuregelung im Gesetzgebungsverfahren noch gestoppt wird, da selbst einige der Experten, die im Rahmen der Anhörung des Innenausschusses gehört werden sollen, sich positiv zu den Wiedereinreisesperren geäußert haben. Vermögen die geladenen Experten die offenkundige EU-Rechtswidrigkeit der Neuregelung nicht zu erkennen, so kann es Politikern nicht angekreidet werden, wenn sie sich auf diese "Expertisen" verlassen. 

Der Entwurf zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU sieht vor, nach § 7 Abs. 2 Satz 1 folgende Regelungen einzufügen:

§ 7 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU-E:

„Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, bei denen das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs. 7 festgestellt worden ist, kann untersagt werden, erneut in das Bundesgebiet einzureisen und sich darin aufzuhalten.“

§ 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU-E:

„Dies soll untersagt werden, wenn ein besonders schwerer Fall, insbesondere ein wiederholtes Vortäuschen des Vorliegens der Voraussetzungen des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, vorliegt oder wenn ihr Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher Weise beeinträchtigt.“

§ 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU-E:

„Bei einer Entscheidung nach den Sätzen 2 und 3 findet § 6 Absatz 3, 6 und 8 entsprechend Anwendung.“

Die Wiedereinreisesperren in den Sätzen 2 und 3 des Entwurfs verstoßen gegen Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (Amtsblatt der Europäischen Union L 158 vom 30. April 2004 – im Folgenden: Unionsbürgerrichtlinie).

Art. 15 Absätze 1 und 3 der Unionsbürgerrichtlinie bestimmen:

„(1) Die Verfahren der Artikel 30 und 31 finden sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird.

(…)

(3) Eine Entscheidung gemäß Absatz 1, mit der die Ausweisung verfügt wird, darf nicht mit einem Einreiseverbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen.“

Die Unionsbürgerrichtlinie unterscheidet zwischen Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die im Kapitel VI (Art. 27 – Art. 33) geregelt sind und sonstigen Maßnahmen, mit denen die Freizügigkeit eines Unionsbürgers oder ihrer Familienangehörigen beschränkt wird. Eine Wiedereinreisesperre sieht Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie ausschließlich für Personen vor, gegen die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist.

Der Wortlaut des Art. 32 der Unionsbürgerrichtlinie lautet:

„(1) Personen, gegen die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist, können nach einem entsprechend den Umständen angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach dem Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen endgültigen Aufenthaltsverbots einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis darauf einreichen, dass eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben.

Der betreffende Mitgliedstaat muss binnen sechs Monaten nach Einreichung des Antrags eine Entscheidung treffen.

(2) Die Personen gemäß Absatz 1 sind nicht berechtigt, während der Prüfung ihres Antrags in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats einzureisen.“

Alle anderen Maßnahmen, die nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergehen und insbesondere auch nicht die strengen Anforderungen nach Art. 27 und Art. 28 der Unionsbürgerrichtlinie erfüllen, dürfen daher nicht mit einer Wiedereinreisesperre verbunden werden. Bei Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ist nicht nur der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, sondern auch zu beachten, dass ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sein darf. Strafrechtliche Verurteilungen allein können ohne weiteres diese Maßnahmen nicht begründen. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Art. 35 der Unionsbürgerrichtlinie ermöglicht – entgegen der Begründung des Gesetzentwurfes zum Freizügigkeitsgesetz/EU – keine Maßnahme, die eine Wiedereinreisesperre nach sich zieht, ohne die vorgenannten Voraussetzungen zu erfüllen. Der Gestaltungsspielraum beschränkt sich entweder auf Maßnahmen nach Art. 15 Abs. 1 der Unionsbürgerrichtlinie, die auf eine Beendigung des Aufenthalts gerichtet sind, oder auf ein Einschreiten aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Beachtung der hohen Anforderungen nach Art. 27 und Art. 28 der Unionsbürgerrichtlinie. Ein Betrug oder eine Scheinehe können daher zum Anlass genommen werden, den Aufenthalt des Unionsbürgers im Bundesgebiet zu beenden, die Maßnahme rechtfertigt aber in aller Regel keine Wiedereinreisesperre, da einetatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, nicht vorliegen wird!

In Bezug auf die Neuregelung der Wiedereinreisesperre wird der Fehler begangen, dass aus dem Umstand eines Rechtsmissbrauch oder Betrugs automatisch geschlossen wird, es läge eine Maßnahme der Sicherheit oder Ordnung vor. Dabei wird aber verkannt, dass eine derartige Maßnahme – wie oben dargelegt – durch die Unionsbürgerrichtlinie an strenge Voraussetzungen gebunden ist, die im nationalen Recht in § 6 Abs. 2 FreizügG/EU verankert sind. Auf diese Regelung wird aber durch § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU-E nicht verwiesen! Soweit Art. 35 der Unionsbürgerrichtlinie davon spricht, dass die verliehenen Rechte im Falle des Rechtsmissbrauchs oder Betrugs „zu verweigern“ sind, erfasst dies ausschließlich die Möglichkeit, den Ausländer daran zu hindern, im Inland Rechte aufgrund des erschlichenen Rechtsstatus geltend zu machen. Ein Verbot der Wiedereinreise kann hierauf nicht gestützt werden, da hier immer die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 FreizügG/EU vorliegen müssen.

Nun könnte der Gedanke naheliegend sein, die Bezugnahme auf § 6 Abs. 3, 6 und 8 FreizügG/EU durch § 7 Abs. 2 Satz 4 FreizügG/EU-E um den Verweis auf § 6 Abs. 2 FreizügG/EU zu ergänzen. Die Regelung wäre dann zwar mit Unionsrecht im Einklang, sie wäre aber überflüssig. Denn wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2, 3, 6 und 8 FreizügG/EU vorliegen, dann kann eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU aus Gründen der öffentlichen Ordnung ergehen.

Die Neuregelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU leidet nicht nur – wie oben dargelegt – an dem fehlenden Verweis auf § 6 Abs. 2 FreizügG/EU, sondern zudem an einem europarechtlich nicht zulässigen Automatismus. Durch die Formulierung als Regelfall („soll“) wird ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung aufgestellt, dass eine Wiedereinreisesperre zu verhängen ist. Dies widerspricht der durch das Unionsrecht geforderten umfassenden Prüfung des Einzelfalls (zur Europarechtswidrigkeit der Ist- und Regelausweisung siehe EuGH, U. v. 29.04.2004 – C-482/01 – Orfanopoulos, Rn. 92).

Zudem führt die Regelung des § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU-E zu einem systematisch kaum auflösbaren Widerspruch zur Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU, da die Regelung auch zur Anwendung gelangen soll, „wenn ihr Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in erheblicher Weise beeinträchtigt.“ Soll mit der 2. Alternative des Satzes 3 eine Spezialregelung zu § 6 Abs. 1 FreizügG/EU in das Gesetz aufgenommen werden? In diesem Fall würde die Regelung systematisch zu § 6 FreizügG/EU gehören.

Eine derartige Spezialregelung stünde mit Unionsrecht nicht in Einklang, da das Eingreifen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht nur eine „erhebliche Beeinträchtigung“ voraussetzt, sondern verlangt, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein „Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.

Die Neuregelung in § 7 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU-E ist daher geeignet, eine unionsrechtlich unzulässige Absenkung der Gefahrenschwelle zu normieren, die unweigerlich dazu führen wird, dass viele ausländerrechtliche Verfügungen, die auf den Neuregelungen beruhen, rechtwidrig sein werden.

Mainz, 11.10.2014