Gebührenerhöhung durch den elektronischen Aufenthaltstitel bei türkischen Staatsangehörigen

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Deutschlands Gebühren für die neuen elektronischen Aufenthaltstitel verstoßen in Bezug auf türkische Staatsangehörige gegen Europarecht – Dänemark und die Niederlande haben reagiert, erklärt Sevim Dagdelen in Ihrem MiGAZIN-Gastbeitrag.

DIE LINKE hat sich grundsätzlich gegen die Einführung des neuen elektronischen Aufenthaltstitels ausgesprochen. Die Abnahme der Fingerabdrücke von Kindern bereits ab dem sechsten Lebensjahr ist diskriminierend und durch nichts zu begründen. Warum es überhaupt einen elektronischen Aufenthaltstitel geben soll, der mit erheblichen Zusatzkosten und bürokratischem Mehraufwand verbunden ist, ist schleierhaft. Über relevante Sicherheitsmängel bei den bisherigen Aufenthaltstiteln, die in Form von Klebe-Etiketten in den Pass eingetragen wurden, ist nichts bekannt. Hinzu kommt: Der beste und häufig einzige Schutz gegen einen möglichen Datenmissbrauch ist die Vermeidung einer Erhebung von sensiblen persönlichen Daten.

Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum die Betroffenen die Kosten einer ihnen aufgezwungenen, fragwürdigen Neuerung tragen sollen. Um 50 Euro steigen die Gebühren für die Erteilung eines Aufenthaltstitels, eine mehr als einjährige Aufenthaltserlaubnis kostet jetzt z.B. 110 Euro statt bisher 60 Euro. Dass es auch anders geht, zeigt Belgien: Dort kostet ein elektronischer Aufenthaltstitel zwischen 10 und 15 Euro. Das bisher in Deutschland verwandte Klebeetikett kostete in der Herstellung gerade einmal 78 Cent und es war in Sekunden im Pass eingeklebt. Die Herstellungskosten des elektronischen Aufenthaltstitels betragen hingegen knapp 30 Euro, der bürokratische Aufwand ist hoch, eine einmalige Vorsprache genügt nicht mehr und bei Verlängerungen müssen alle Familienangehörigen stets persönlich vorsprechen. Europarechtswidrig

In der Debatte um den elektronischen Aufenthaltstitel spielte ein Aspekt bislang noch keine Rolle: Die massive Gebührenanhebung zum 1. September 2011 ist aus den dargestellten Gründen nicht nur ungerecht. Sie verstößt bei der größten Betroffenengruppe, türkischen Staatsangehörigen, auch gegen verbindliches Europarecht. Dies ergibt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und wird durch die Praxis anderer EU-Staaten bestätigt.

Das EU-Türkei-Assoziationsrecht sieht bekanntlich vor, dass es im Umgang mit türkischen Staatsangehörigen keine Verschlechterungen geben darf. Dies betrifft den Zugang zum Arbeitsmarkt, hiervon abgeleitet aber auch Beschränkungen des Aufenthaltsrechts. Zudem gilt nach dem Assoziationsabkommen ein Diskriminierungsverbot. Der Europäische Gerichtshof hat vor diesem Hintergrund bereits mehrfach Gebühren für Aufenthaltstitel türkischer Staatsangehöriger als zu hoch und mit dem Assoziationsrecht unvereinbar erklärt.

Dänemark und die Niederlande mit Ausnahmen

Dänemark und die Niederlande – zwei nicht gerade für ihr liberales Ausländerrecht bekannte Länder! – setzen diese europarechtlichen Vorgaben um, wie eine mir vorliegende vergleichende Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zeigt. Türkische Staatsangehörige müssen dort, im Gegensatz zu anderen Drittstaatsangehörigen, keine oder nur erheblich verringerte Gebühren bezahlen, in beiden Ländern wurden elektronische Aufenthaltstitel bereits eingeführt. Die Bundesregierung hingegen verneint die Anwendbarkeit des Assoziationsrechts bei Gebührenerhöhungen mit aus meiner Sicht höchst fragwürdigen Argumenten (vgl. hierzu: Bundestagsdrucksache 17/5884 zu den Fragen 4 d/e und 9 bis 14).

Dass Ausnahmeregelungen bei der Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels möglich sind, hat die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens selbst aufgezeigt: Schweizer Staatsangehörige beispielsweise haben die Wahl, ob sie einen herkömmlichen oder einen elektronischen Aufenthaltstitel ausgestellt bekommen möchten. Auch für türkische Staatsangehörige müsste eine entsprechende Sonderregelung geschaffen werden – jedenfalls was die Kosten einer Aufenthaltserteilung anbelangt. Betroffene sollten deshalb unbedingt entsprechende Widerspruchsmöglichkeiten prüfen.

Damit wäre der elektronische Aufenthaltstitel zwar nicht aus der Welt. Aber wenigstens müssten Millionen Menschen nicht noch den Kontrollwahn der Regierenden aus eigener Tasche finanzieren. MiGAZIN, 5. September 2011