Das Integrationsgesetz ist erneut ein klassisches Beispiel schlampiger Gesetzesarbeit zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.
Von der neuen Wohnsitzauflage nach § 12a AufenthG sind Asylberechtigte und Flüchtlinge betroffen, die ab dem 1.1.2016 anerkannt wurden und nach ihrer Anerkennung, aber vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes, in ein neues Bundesland verzogen sind. Gleiches gilt für Ausländer, die als subsidiär Schutzberechtige im Sinne von § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes anerkannt worden sind oder denen nach §§ 22, 23 oder 25 Absatz 3 AufenthG erstmalig eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist. Da die Übergangsregelung des § 12a Abs. 7 AufenthG die Regelung auf diese Personengruppen erstreckt, werden gegenwärtig weitergewanderte Ausländer bei bestehendem Sozialleistungsbezug von Ausländerbehörden aufgefordert, in dem Land ihren gewöhnlichen Aufenthalt (Wohnsitz) zu nehmen, in das sie zur Durchführung ihres Asylverfahrens zugewiesen worden sind. Weigern sie sich, so droht der Ausschluss von SGB II-Leistungen.
Die pauschale Aufforderung, das Bundesland zu verlassen, in das der Zuzug erfolgt ist, verstößt gegen das Rückwirkungsgebot und wird auch nicht dem Zweck der Regelung, der Förderung der nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland, gerecht. Diese Ausländer werden so behandelt, als hätten sie sich bereits vor dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes am 6.8.2016 rechtlich an einem anderen Ort aufhalten müssen. Damit wird ein abgeschlossener Sachverhalt rückwirkend einer neuen rechtlichen Bewertung unterworfen. Nach dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) ist eine "echte" Rückwirkung ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen") verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig, sofern eine Durchbrechung ihres Verbots nicht ausnahmsweise durch zwingende Belange des Gemeinwohls oder ein nicht - oder nicht mehr - vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen gestattet wird (BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 2015 – 2 BvR 1958/13 – Rn. 43). Auch eine Ausnahme von dem durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten Vertrauen auf die geltende Rechtslage liegt nicht vor, bei dem ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig wäre. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren oder ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (vgl. BVerfGE 131, 20 <41>).
Nun steht zu erwarten, dass der Gesetzgeber nicht müde werden wird zu behaupten, dass die Regelung aus zwingenden Belangen des Gemeinwohls – hier der Förderung der Integration – notwendig ist. Dass nur für 8 Monate eine Rückwirkung angeordnet wurde und Integrationsfragen in Bezug auf die betroffenen Ausländer nicht einmal im Ansatz geprüft werden, verdeutlicht aber hinreichend die Ungeeignetheit einer derartigen Behauptung. Dass die erneute Entwurzelung von Ausländern, die umgezogen sind, nicht automatisch der Integration förderlich ist, liegt auf der Hand. Erforderlich wäre eine individuelle Prüfung der Integrationsprognose unter Berücksichtigung der persönlichen, beruflichen und familiären Lebensumstände.
Rechtlich lässt sich das Problem dadurch lösen, dass die Ausländerbehörden entweder die geänderte Rechtslage nicht zum Anlass nehmen, zugezogene Ausländer auf die Wohnsitzbeschränkung zu verweisen oder aber seitens der betroffenen Ausländer nach § 12a Abs. 5 Nr. 2 AufenthG ein Antrag gestellt wird, der gesetzlichen Rechtsfolge aus Härtegründen nicht nachkommen zu müssen. In dem unbestimmten Rechtsbegriff der „Härte“ kann dann die verfassungsrechtliche unzulässige Rückwirkung angemessen berücksichtigt werden.
Zur Wiederherstellung des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes müsste der Gesetzgeber tätig werden und die Wohnsitzbeschränkung nach § 12a Abs. 1 AufenthG für alle Personen, die vor dem 6.8.2016 in ein anderes Bundesland verzogen sind, aufheben.
Mainz, 11.09.2016