Aufenthaltsgesetz § 81, Aufenthaltserlaubnis, Anwalt, Rechtsanwalt

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Aufenthalts- und Bleiberechte während des Verfahrens

Eine scheinbar trockene, weil ausschließlich theoretisch und methodisch interessante Frage ist die nach den Möglichkeiten eines Ausländers, während eines Verfahrens vor der Ausländerbehörde vorübergehend im Inland verweilen zu dürfen. Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass dem vorläufigen Verfahrensaufenthalt auch praktisch eine große Bedeutung zukommt.

Zur Verdeutlichung: Es geht um den Inlandsaufenthalt während eines Verwaltungsverfahrens bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde. Der weitere Verbleib während eines eventuell anschließenden Gerichtsverfahrens ist davon nicht betroffen. Er folgt eigenen, nicht kodifizierten Regeln.

Für den Verfahrensaufenthalt ist rechtlich wie faktisch die Erkenntnis zugrundezulegen, dass Rechtspositionen wenig wert sind, wenn sie nach der Ausreise oder Abschiebung vom Ausland her verfolgt werden sollen und teilweise unwiederbringlich verloren sind, weil eine Wiedereinreise ausgeschlossen ist. Dabei sind im Blick auf Rechtsstaatlichkeit und Art. 19 IV GG nicht nur irreparable Schäden zu berücksichtigen, sondern auch Unzumutbarkeiten. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die Brisanz des Sofortvollzugs im Ausländerwesen schon früh erkannt. Das Preußische Oberverwaltungsgericht hat den Verfahrensaufenthalt ?erfunden?, den der Gesetzgeber dann in § 21 III AuslG 1965 festgeschrieben hat. Die damals einfachen Grundsätze hat der Gesetzgeber des Jahres 1990 mit neuen Unterscheidungen, Ausnahmen und Rückausnahmen verfeinert und damit verunklart.

Unter diesen Umständen war das Unterfangen des Gesetzgebers der Jahre 2002 bis 2004, wieder zu einfachen Regeln zurückzufinden, jedes Lob wert. Er hat in § 81 Aufenthaltsgesetz eine neue Stufenordnung geschaffen: Fortgeltung des bisherigen Titels (Abs. 4); fiktive Erlaubnis (Abs. 3 Satz 1); fiktive Duldung (Abs. 3 Satz 2). Im ersten Fall ist der Besitz eines gültigen Titels bei Antragstellung erforderlich und im zweiten Fall die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ohne Besitz eines Titels. Der dritte Fall tritt ein, wenn dieser Titel verspätet beantragt wird, also nach Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts. Wer keine dieser drei Voraussetzungen erfüllt, geht leer aus.

Eine Fallgruppe verdient aber noch eine nähere Betrachtung, nämlich die derjenigen Antragsteller, die einen Aufenthaltstitel besitzen, aber dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Titels zu spät beantragen, also nach Ablauf des bisherigen. Ihr weiterer Aufenthalt sollte nach § 81 IV 2 AufenthG 2002 nicht erlaubt, aber geduldet sein. Diesen Passus hat der Gesetzgeber im Aufenthaltsgesetz 2004 weggelassen, die Gründe hierfür sind Außenstehenden unbekannt und bei den Beteiligten umstritten. Während die einen meinen, es habe sich an der ursprünglichen Regelung nichts ändern sollen, verweisen die anderen darauf, der Gesetzgeber habe Satz 2 in Abs. 4 bewusst gestrichen, um die Verantwortung des Ausländers für eine rechtzeitige Antragstellung hervorzuheben (vgl Nr. 81.4.2.2 VAH).

Welche Lösung bietet sich an? Das in Nr 81.4.2.3 VAH vorgeschlagene Vorgehen mit einer Fiktionsbescheinigung über die Rechtsfolgen des Abs. 4 in Fällen einer unverschuldeten und geringfügigen Fristversäumnis erscheint sehr problematisch. Die Bescheinigung hat rein deklaratorischen Charakter und kann nicht nach Ermessen ausgestellt werden. Es geht auch nicht um eine entsprechende Anwendung von Abs. 5, sondern um eine Analogie zu Abs. 4. An der hierfür erforderlichen unbewussten Regelungslücke könnte es aber gerade fehlen. Sie ist nur vorstellbar, wenn der Gesetzgeber einerseits eine ?großzügige Regelung? nicht schaffen, andererseits die Betroffenen nicht rechtlos stellen wollte. Dann aber bietet sich eine klare Analogie zu Abs. 3 Satz 2 ohne individuelle Ursachenermittlung und mit der Folge einer fiktiven Duldung ab Antragstellung an. Eine vorläufige Zulassung zur Erwerbstätigkeit ist damit nicht verbunden. Der Aufenthaltstitel ist nämlich erloschen und nur die Vollziehung der Ausreispflicht ausgesetzt. Mehr dazu demnächst in Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage, § 81 Aufenthaltsgesetz Rn. 14 bis 24.


Professor Dr. Günter Renner