Migrationspolitik, Einwanderung, Auswanderung, Deutschland, Wanderung als Mensch

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Im Deutschen Bundestag wurde zum wiederholten Male heftig um die Grundsätze der deutschen Migrationspolitik gerungen. Der Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion begann mit grundsätzlichen Ausführungen:

?Wir brauchen in einer ganz neuen Weise, um uns über alle Grenzen hinaus als Einheit zu erleben, den wandernden Menschen. Wir brauchen ihn, weil es Menschen geben muss, die allen festen Gewohnheiten zum Trotz auch in diesem Bereich den Mut zur Änderung und zum Neubeginn aufbringen ? nicht nur um die Zufälligkeiten und Spannungen der Bevölkerungsentwicklung auszugleichen, sondern auch um die Welt als den Lebensraum der einen Menschheit aufzubauen. Die Bedeutung der Wanderung liegt also nicht nur in dem Aufbruch in die Welt des Abenteuers und des Unbekannten, sondern in der Erfahrung der einen Welt, die immer mehr zur Binnenwelt wird und die ihrerseits gerade als Voraussetzung den mobilen Menschen fordert. Der wandernde Mensch manifestiert und vollzieht ein Stück unersetzlicher Freiheit.?

Die Debatte im Bundestag (am 16. Januar 1975; 7. Wp. 141. Sitzung Prot. S. 9700 f) galt nicht einer erneuten Änderung des Asylverfahrensgesetzes oder der fortschreitenden Globalisierung der Lebensverhältnisse, sondern dem Gesetz zum Schutz der Auswanderer, das im Jahre 1975 das Reichsgesetz über das Auswanderungswesen von 1897 abgelöst hat.

Eugen Richter schrieb dazu 1898 (Politisches ABC-Buch, 9. Auflage, 1898, S. 33):

?Im Jahre 1897 ist im Reichstag ein Auswanderungsgesetz angenommen worden, gegen welches die Freisinnigen und die Sozialdemokarten gestimmt haben, weil dadurch die Unternehmer der Beförderung von Auswanderern nach außerdeutschen Ländern geradezu wie der Vogel auf den Zweig gesetzt und dem Gutdünken des Reichskanzlers  überwiesen werden. Die Erlaubnis soll an Unternehmer nur für bestimmte Länder, Teilen von solchen oder für bestimmte Orte und im Falle überseeischer Beförderung nur für bestimmte Einschiffungshäfen erteilt und jeder zeit beschränkt oder widerrufen werden können. Es werden aber die Beweglichkeit und der Unternehmergeist der Reederei gelähmt und unterbunden, wenn für das Unternehmen, für seine Ausdehnung auf neue Gebiete, für das Anlaufen eines neuen Hafens vorgängig die obrigkeitliche Genehmigung eingeholt und wenn mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß die Genehmigung gelegentlich, und zwar aus von der Betriebsführung unabhängigen Gründen beschränkt oder zurückgenommen werden kann. Dazu kommt, daß nach der Begründung des Gesetzes Hauptzweck desselben ist das Bestreben, die Auswanderung zu leiten und abzulenken, beispielsweise von Nordamerika nach Südamerika.?

Wanderungsbewegungen als Menschheitsschicksal sind unabhängig von Zeit und Raum (dazu schon Renner, in: Das wahre Verfassungsrecht, Gedächtnisschrift für F. G. Nagelmann, 1. Aufl., 1984, S. 481 ff.). Gerade Friedrich Gottlob Nagelmann, geboren 1889 zu Insterburg in Ostpreußen, wusste von der existentiellen Bedeutung der Migration aus eigener Erfahrung zu berichten, war er doch viele Jahre an das Reichsaußenministerium abgeordnet. Nein, damals gab es die Einrichtung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses noch nicht. Deshalb konnten Staatsanwälte und Richter den Abgeordneten auch nicht über die Feinheiten der Amtshilfebeziehungen zwischen Justiz und Auswärtigem Dienst berichten. Die Organisation von Wanderungen konnte freilich schon immer ein einträgliches Geschäft darstellen, nicht erst seit Entdeckung der Reisefreiheit im ehemaligen Ostblock.

Auswanderung und Einwanderung bilden einen ewigen Kreislauf. Derzeit berichten konservativ werteorientierte Tageszeitungen beständig über Erfahrungen mit einem ?neuen deutschen Einwanderungsgesetz?, ohne wenigstens eine Fundstelle für dieses in juristischen Datenbanken unbekannte Normenwerk zu nennen. Dem neuen deutschen Trend zur Auswanderung hoch qualifizierter Deutscher (Jahresgutachten 2004 des Sachverständigenrats für Zuwanderung und Integration, S. 69 ff.) schenken sie noch keine Aufmerksamkeit. Wann werden sie entdecken, dass ?unternehmungslustige Eliten? (Lepenies, ?Haltet die Forscher?, Süddeutsche Zeitung, Aug. 2003) scharenweise Deutschland verlassen?