OLG Bamberg, Urteil vom 19.02.2014 - 3 Ss 6/14 -.
Leitsatz:
Die zur Erlangung einer EU-Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU für Familienangehörige von Unionsbürgern vorsätzlich gegenüber der Ausländerbehörde abgegebene falsche Erklärung, mit einem Unionsbürger bestehe eine eheliche Lebensgemeinschaft, erfüllt weder den
Tatbestand unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG noch denjenigen der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1 StGB.
Das Landgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen mit der Begründung freigesprochen, dass falsche Angaben zur Erlangung einer EU- Aufenthaltskarte durch ein Familienmitglied eines EU-Bürgers nicht nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG unter Strafe gestellt seien. Unmittelbar sei § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht anwendbar, weil eine EU-Aufenthaltskarte keinen Aufenthaltstitel und keine Duldung im Sinne der Vorschritt darstelle. Eine Strafbarkeit folge aber auch nicht über § 11 Abs. 1 FreizügG/EU. Zwar finde nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 FreizügG/EU auch § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt haben, „entsprechende Anwendung". Dies stelle aber lediglich eine Öffnungsklausel für den Täterkreis des § 95 AufenthG des Inhalts dar, dass sich nicht nur nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer, sondern auch Deutsche und Unionsbürger bzw. deren Angehörige nach dieser Vorschrift strafbar machen könnten. Eine Gleichsetzung der EU-Aufenthaltskarte mit einem „konstitutiven" Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz sei aber gerade nicht erfolgt. Tatobjekte im Sinne des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG seien vielmehr Aufenthaltstitel nach § 4 AufenthG und Duldungen nach § 60 a AufenthG. Andere Urkunden oder Erlaubnisse wie beispielsweise Passersatzpapiere (§ 4 AufenthG), die Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 2 AufenthG, Fiktionsbescheinigungen (§ 81 Abs. 5 AufenthG), Bescheinigungen über die Aufenthaltsgestattung gemäß § 63 AsylVfG, Bescheinigungen des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder auch die Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern fielen nicht darunter. Eine Strafbarkeit hätte insoweit einer ausdrücklichen Regelung durch den Gesetzgeber bedurft. Nach alledem liege eine Gesetzeslücke vor, die nach derzeitiger Rechtslage allenfalls durch eine unzulässige strafbegründende Analogie zu schließen wäre.
Nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer „unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht".
Diese Voraussetzungen liegen hier, wie das Landgericht [entgegen der Annahme des Amtsgerichtes] zutreffend erkannt hat, deshalb nicht vor, weil von der Strafbewehrung des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG entsprechend dem eindeutigen Normwortlaut nur unrichtige Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels im Sinne von § 4 AufenthG oder einer Duldung im Sinne von § 60 a AufenthG erfasst sind, nicht aber falsche Angaben zur Ausstellung einer sog. EU-Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern, die selbst nicht Unionsbürger sind (Winkelmann in Renner/Bergmann/Dienelt Ausländerrecht 10. Aufl. § 95 AufenthG, Rn. 112)
Siehe OK-MNet-AufenthG zu § 95
Quelle: zitiert nach juris.