In einem Verfahren, das insbesondere in Niedersachsen seit Jahren öffentliche Aufmerksamkeit findet, hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig mit Urteil vom 27. Januar 2009 (BVerwG 1 C 40.07) darüber zu entscheiden, ob die Ausländerbehörde einem Ausländer, der hier aufgewachsen ist, den weiteren Aufenthalt zu Recht verweigert hat, weil sich nunmehr herausgestellt hat, dass seine Eltern das Bleiberecht durch falsche Angaben über ihre Staatsangehörigkeit erwirkt haben.
Der 1979 geborene Kläger kam im Alter von sechs Jahren mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Deutschland. Nach erfolglosem Asylverfahren erhielt die Familie aufgrund eines niedersächsischen Bleiberechtserlasses für staatenlose Kurden aus dem Libanon seit Ende 1990 fortlaufend befristete Aufenthaltsbefugnisse. Die Eltern hatten damals wider besseres Wissen angegeben, ihre Staatsangehörigkeit sei ungeklärt. Mitte der 90er Jahre erwarb die Familie die libanesische Staatsangehörigkeit. Ende der 90er Jahre stellte die Ausländerbehörde nach umfangreichen Ermittlungen fest, dass der Vater des Klägers in der Türkei geboren ist und Vater und Sohn auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen. 2001 wurde dem Kläger daraufhin die Verlängerung seines Bleiberechts versagt und die Abschiebung in den Libanon angedroht.
Seit 1997 ist der Kläger nach islamischem Ritus verheiratet und hat mit seiner Frau vier Kinder im Alter zwischen drei und elf Jahren. Nachdem die Ausweisung der Frau, deren Eltern ebenfalls über ihre Identität getäuscht hatten, bestandskräftig geworden war, wurde sie 2005 in die Türkei abgeschoben und lebt dort mit den beiden jüngeren Kindern. Die beiden älteren Kinder leben beim Kläger in Deutschland.
Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat die Entscheidung der Ausländerbehörde bestätigt. Es hat dies damit begründet, dass der Kläger wegen seiner türkischen Staatsangehörigkeit von vornherein nicht zu dem geschützten Personenkreis des niedersächsischen Bleiberechtserlasses von 1990 gehört habe. Im Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen falle er auch nicht unter eine Altfallregelung.
Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Es ist dem Berufungsgericht darin gefolgt, dass sich der Kläger weder auf frühere landesrechtliche Bleiberechtserlasse noch auf die gesetzliche Altfallregelung in § 104a Abs. 1 Aufenthaltsgesetz berufen kann. Es hat allerdings beanstandet, dass das Berufungsgericht die Frage der Verlängerung des Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 Satz 2 Aufenthaltsgesetz nicht geprüft hat. Nach dieser Vorschrift kann eine Aufenthaltserlaubnis unabhängig vom Wegfall der Erteilungsvoraussetzungen verlängert werden, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil sah sich das Bundesverwaltungsgericht nicht in der Lage, diese Frage selbst abschließend zu beurteilen. Für die weitere Prüfung hat es dem Berufungsgericht aufgegeben, die jetzigen Lebensverhältnisse des Klägers im Einzelnen zu ermitteln und unter Berücksichtigung von Art. 2 und 6 GG sowie Art. 8 EMRK daraufhin zu bewerten, ob die Beendigung des Aufenthalts für den Kläger eine außergewöhnliche Härte bedeutet. Dazu gehört nicht nur der Umstand, dass er seit seinem 6. Lebensjahr sein bisheriges Leben in Deutschland verbracht hat, sondern auch die durch die Täuschung der Eltern belastete Legitimität des Aufenthalts, die berufliche und soziale Verwurzelung des Klägers in Deutschland sowie die Frage, ob es der Familie des Klägers möglich und zumutbar ist, im Libanon oder in der Türkei zusammenzuleben. Im Übrigen wird das Berufungsgericht erneut zu prüfen haben, ob die Integration des Klägers im Sinne von § 104a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz gewährleistet erscheint.
Quelle Presseerklärung BVerwG