Aus der Rechtsprechung zum Haftrecht

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Freiheitsberaubung durch Unterlassung bei Verletzung des Richtervorbehalts - Keine Rechtsbeschwerde bei (unbewusst ergangener) einstweiliger Anordnung - Haftantragstellung und Prognose - Rechtsbeschwerdefähigkeit bei unterbliebenen Ausführungen zu dem Feststellungsantrag - Zuständigkeit zur Haftantragstellung

1.) BGH, U. v. 04.09.2014 - 4 StR 473/13 -, juris

Leitsatz

  1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
  2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung - unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten - die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.

Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, aaO; vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, jeweils mwN).

Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt, dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 59). Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1 mwN).

Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB erfordert, dass das tatbestandsrelevante Verhalten des Angeklagten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN).  
In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO, mwN).
Ein Ursachenzusammenhang ist jedoch dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO).  
Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte könne bereits deshalb nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge bestraft werden, weil er hinsichtlich des Richtervorbehalts bei der Gewahrsamsanordnung bzw. deren Aufrechterhaltung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.  
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194; Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604, 1606; vgl. auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN).
Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angeklagten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war.  

2.) BGH, B. v. 10.09.2014 - V ZA 15/14 -, juris

Hat das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden, ist die Beschwerdeentscheidung ebenfalls in diesem Verfahren ergangen, selbst wenn dem Beschwerdegericht dies nicht bewusst gewesen sein sollte. Auch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung führt nicht zur Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2011 - XII ZB 445/10, FamRZ 2011, 1728 Rn. 16).

3.) BGH, B. v. 09.10.2014 - V ZB 73/14 -, juris

Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Betroffene neben der Aufhebung der Haftanordnung in entsprechender Anwendung von § 62 Abs. 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit beantragen (Beschlüsse vom 30. August 2012 - V ZB 12/12, InfAuslR 2013, 37 und vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, FGPrax 2011, 39 Rn. 12 f.). Dies gilt auch für eine - wie hier -gemäß § 15 Abs. 6 Satz 2 AufenthG ergangene Anordnung (Senat, Beschluss vom 30. Juni 2011 - V - Seite 2 von 2 - ZB 274/10, FGPrax 2011 Rn. 9). Hebt das Beschwerdegericht auf die Beschwerde des Betroffenen die Anordnung auf, ohne zugleich über den aktenkundigen Feststellungsantrag zu entscheiden, ist dessen Rechtsbeschwerde nur dann zulässig, wenn aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, dass das Gericht über den Feststellungsantrag bewusst nicht entschieden hat (Senat, Beschluss vom 6. März 2014 - V ZB 17/14, InfAuslR 2014, 281 Rn. 4). Enthalten die Entscheidungsgründe dagegen keine Ausführungen zu dem Feststellungsantrag, ist davon auszugehen, dass die Entscheidung über diesen Antrag versehentlich unterblieben ist. Dann ist der Beschluss des Beschwerdegerichts gemäß § 43 FamFG insoweit auf Antrag nachträglich um eine Sachentscheidung zu ergänzen (näher dazu Senat, Beschluss vom 6. März 2014 - V ZB 205/13, InfAuslR 2014, 226, 227).

4.) BGH, B. v. 09.10.2014 - V ZB 75/14 -, juris

Den sich hieraus ergebenden Begründungsanforderungen entspricht der Haftantrag nicht. Er enthält keine ausreichenden Angaben zu der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer. Notwendig sind auf das Land bezogene Ausführungen, in das der Betroffene abgeschoben werden soll. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 16. Mai 2013 - V ZB 44/12, InfAuslR 2013, 349 Rn.12 mwN). Dem genügen die Angaben in dem Haftantrag nicht. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf den Hinweis, dass ein Passersatzpapier beschafft werden müsse und dass die Abschiebung erfahrungsgemäß innerhalb der beantragten Haftdauer von drei Monaten erfolgen könne. Welche Maßnahmen über die Passersatzpapierbeschaffung hinaus erforderlich sind und welcher Zeitraum hierfür voraussichtlich benötigt wird, ergibt sich aus dem Haftantrag nicht.
Die Mängel des Haftantrags sind auch nicht mit Wirkung für die Zukunft geheilt worden.

5.) LG Mainz, B. v. 11.08.2014 - 8 T 124/14 -, juris

Leitsatz
Die für einen Haftantrag nach § 417 Abs. 1 FamFG örtlich zuständige Behörde ist nach allgemeinem Landesrecht zu bestimmen. Bei einer unerlaubten Wiedereinreise eines Ausländers im Sinne des § 14 Abs. 1 AufenthG nach einem abgeschlossenen Voraufenthalt, lebt die Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Voraufenthaltes nicht wieder auf. Die Zuständigkeit der Ausländerbehörde des Voraufenthalts endet mit der Erfüllung der Ausreisepflicht des Ausländers. Ein dennoch von dieser Behörde gestellter Haftantrag nach § 417 Abs. 1 FamFG führt mangels Zuständigkeit zu einer rechtswidrigen Haftanordnung.

Nach dem Beschluss des OVG Saarlouis vom 19. Mai 2009 - 2 B 362/09 - endet die Zuständigkeit einer Ausländerbehörde für einen ausreisepflichtigen Ausländer grundsätzlich, wenn dieser seine Ausreisepflicht erfüllt hat. Für die Fälle der Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung gilt nichts anderes. Im Falle einer - wie hier - gemäß § 14 Abs. 1 AufenthG unerlaubten Wiedereinreise eines Ausländers nach einem - in diesem Sinne abgeschlossenen - Voraufenthalt sind neben den Grenzbehörden auch die zuständigen Behörden der Länder des aktuellen Aufenthaltes zuständig. Nach diesem Grundsatz ist es daher unerheblich, welche Ausländerbehörde vor dem Verlassen des Bundesgebietes zuständig war. Dies ergibt sich auch aus Nr. 71.1.4.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, wonach die Zuständigkeit der Ausländerbehörde endet, wenn der Betroffene seine Ausreisepflicht erfüllt hat. Da der Haftantrag von der unzuständigen Behörde gestellt wurde, fehlt es auch an einer rechtsmäßigen Haftanordnung. Insoweit verletzt der Beschluss des Amtsgerichts Montabaur den Betroffenen in seinen Rechten.