Aus der Rechtsprechung zum Schengenrecht

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VG Stuttgart, HessVGH und OLG Celle zum Schengenrecht:

1.) VG Stuttgart, U. v. 15.10.2014 - 12 K 1992/14 -, juris

Leitsatz
Das Einreiserecht mit einem ausländischen Aufenthaltstitel nach Art. 21 SDÜ ist gesperrt bei
Ausweisungseintrag im AZR bzw. Fahndungseintrag in INPOL.

Dem Kläger war die Einreise in das Bundesgebiet auch nicht aufgrund des tschechischen Aufenthaltstitels erlaubt. Zwar gilt das Erfordernis eines Aufenthaltstitels (wie des nationalen Visums) nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nur, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union etwas Anderes bestimmt ist. Zum Recht der EU zählt Art. 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) in seiner gemäß Art. 2 Ziff. 3 der Verordnung 610/2013/ EU geänderten Fassung. Nach Art. 21 SDÜ können Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einem der Mitgliedstaaten ausgestellten Aufenthaltstitels sind, sich aufgrund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen frei im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten bewegen, sofern sie die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a), c) und e) des Schengener Grenzkodex aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Allerdings gilt dieses Einreiserecht grundsätzlich nicht für einen längeren Aufenthalt, sondern insbesondere für die Einreise als Tourist (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 07.05.2014 - 5 K 4470/13 - juris). Selbst wenn der Kläger aber nicht – wofür ja wohl einiges spricht – mit neuer Identität auf Dauer angelegt zu seiner Ehefrau hätte ziehen wollen, sondern etwa als Tourist oder Fahrer einer tschechischen Firma eingereist wäre, scheiterte seine legale Einreise an dem Umstand, dass er im AZR als unbefristet ausgewiesen/abgeschoben registriert sowie in INPOL zur Personenfahndung ausgeschrieben war und ist. Denn das Einreiserecht des Art. 21 SDÜ ist nach Absatz 1 der Norm ausdrücklich nicht gegeben, wenn der Drittausländer „auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragspartei steht“. Die Eintragungen im bundesdeutschen AZR und die Fahndungsausschreibung in INPOL erfüllen dieses Tatbestandsmerkmal. Hierbei kann es auch nicht darauf ankommen, ob diese Eintragungen möglicherweise rechtswidrig oder falsch sind. Denn aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes im Hinblick auf die Strafbarkeit der illegalen Einreise eines Ausgewiesenen gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG muss es bei der Auslegung des Art. 21 SDÜ allein auf objektive Kriterien ankommen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13.05.2014 - 1 Ws 216/14 - juris); im Zweifelsfall muss auch der Grenzbeamte durch einfachen Blick in den Computer wissen, ob der Drittausländer nun einreisen darf oder nicht. Aus diesem Grund kann dem Kläger auch aus Art. 56 AEUV kein anwendungsvorrangiges Einreiserecht erwachsen sein, denn dieses ist „durch einen Blick in den Computer“ nicht zu ermitteln, wenn es denn überhaupt je materiell-rechtlich entstanden ist. Die unionsrechtlichen Regelungen des Schengen-Besitzstandes gehen den allgemeinen Freizügigkeitsrechten aus dem EU-Binnenmarktrecht mithin als leges speciales vor. Dem Drittausländer ist es allerdings unbenommen, vor seiner Einreise – auch unter Berufung auf Freizügigkeitsrechte aus dem EU-Binnenmarktrecht – die Befristung der Sperrwirkungen und die Löschung im AZR/INPOL zu beantragen.

2.) HessVGH, B. v. 04.06.2014 - 3 B 785/14 -, juris

Leitsatz

  1. § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG (juris: AufenthG 2004) steht der Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (juris: AufenthG 2004) aufgrund eines gemäß Art. 18 SDÜ (juris: SchÜbkDÜbk) von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für einen längerfristigen Aufenthalt erteilten Visums entgegen.
  2. Art. 21 Abs. 2a SDÜ (juris: SchÜbkDÜbk) i.V.m. Art. 21 Abs. 1 SDÜ (juris: SchÜbkDÜbk) erlaubt eine Einreise in die Bundesrepublik nur unter den Voraussetzungen der Art. 5 Abs. 1 Buchstaben a, c und e Schengener Grenzkodex. Danach kommt es u.a. darauf an, ob sich die geplante Aufenthaltsdauer auf einen Zeitraum bis zu 90 Tagen beschränkt.
  3. Ein Aufenthalt in der Bundesrepublik ist nicht gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004) wegen eines durch einen anderen Mitgliedstaat der EU gemäß Art. 18 SDÜ (juris: SchÜbkDÜbk) erteilten Visums rechtmäßig, wenn bei der Einreise bereits ein über die Aufenthaltsdauer des Art. 21 Abs. 1 SDÜ (juris: SchÜbkDÜbk) hinausgehender Aufenthalt - hier: Ehegattennachzug nach Dänemarkehe - geplant war.

3.) OLG Celle, B. v. 13.05.2014 - 1 Ws 216/14 -, juris

Leitsatz
Verfügt ein Ausländer über einen rechtmäßig erworbenen nationalen Aufenthaltstitel eines Schengen-Mitgliedstaates, das ihn zur Einreise als Tourist nach Deutschland berechtigt, liegt eine unerlaubte Einreise im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auch dann nicht vor, wenn diese zum Zweck der illegalen Arbeitsaufnahme erfolgt.

Alle betroffenen vietnamesischen Staatsangehörigen haben über einen Aufenthaltstitel der tschechischen Behörden verfügt. Gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ war es ihnen mithin gestattet, sich ohne weiteren Titel innerhalb des Schengen-Raums frei zu bewegen. Insoweit käme eine unerlaubte Einreise nur in Betracht, wenn die tschechischen Aufenthaltstitel selbst auf unlautere Weise erlangt worden wären (§ 95 Abs. 6 AufenthG; vgl. BGH NStZ, 2012, 644) oder die Motivation der Ausländer, in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen, Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Einreise entfaltete. Zu ersterem verhält sich der dem Senat vorliegende Akteninhalt jedoch nicht. Teilweise sind die tschechischen Aufenthaltsgenehmigungen bereits deutlich älteren Datums als der Tag der Einreise nach Deutschland, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die vietnamesischen Staatsangehörigen den Entschluss, in Deutschland illegal zu arbeiten, erst zu einem Zeitpunkt gefasst haben könnten, an dem sie sich bereits mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis in Tschechien befunden haben. Hierfür spricht auch die Annahme, die Beschuldigte habe die Ausländer zur Reise nach Deutschland animiert, weil diese hier mehr als in Tschechien verdienen könnten. Inwieweit etwa die Aussage des V. Ti. V. (Ziffer 6.), unmittelbar nach Ankunft in Tschechien von der Beschuldigten nach Deutschland geholt worden zu sein, eine abweichende Beurteilung zulässt, müssen die weiteren Ermittlungen ergeben. Hierauf wird es auch für die Annahme des Schleusungstatbestandes entscheidend ankommen, da zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Einreise die Motivation, in Deutschland einer Beschäftigung nachzugehen, ansonsten außen vor bleiben muss. Zwar ist die Einreise nach Art. 21 SDÜ nur erlaubt, wenn der Ausländer die in Art. 5 Abs. 1 lit. a, c und e SDÜ (entspricht Art. 5 der EG-Verordnung Nr. 562/2006 - Schengener Grenzkodex -) genannten Voraussetzungen erfüllt. Danach darf der Ausländer u.a. keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen, worunter die Aufnahme einer illegalen Beschäftigung fallen könnte (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 2012, 22 L 613/12 - juris). Stellte man aber alleine darauf für eine Strafbarkeit des Ausländers nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ab, könnte von einem erforderlichen eindeutigen Auslegungsmaßstab im Sinne des verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheitsgrundsatzes von Strafbestimmungen nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht gesprochen werden. Nicht nur lässt der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung schon per se Interpretationsspielraum, er wird durch die Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit. c SDÜ auch zusätzlich in der Erkennbarkeit seiner Bedeutung verwässert, weil darin ausdrücklich zugelassen wird, dass die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts im Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig, gegebenenfalls also auch durch eine legale Erwerbstätigkeit erworben werden (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 14. Dezember 2010, 7 K 851/10.F - juris). Dies hat zur Folge, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Einreise es allein auf objektive Kriterien ankommen kann (vgl. so auch die Gesetzesbegründung in BR-Drs. 22/03, S. 164). Es ist daher allein darauf abzustellen, dass die betroffenen Ausländer über eine wirksame Einreisegenehmigung verfügt haben (vgl. BGH NJW 2005, 2095; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 53). Dass der Gesetzgeber durch die Einführung von § 95 Abs. 6 AufenthG die Fälle der unlauteren Erlangung von Aufenthaltsgenehmigungen dem Fehlen einer solchen gleichgestellt hat, ist hier unerheblich. Der Gesetzgeber wollte dadurch sämtliche Fälle erfassen, in denen die strafbefreiende Genehmigung auf unlautere Weise erlangt worden ist (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 199). Daraus lässt sich folgern, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 95 Abs. 6 AufenthG die Rechtsprechung des BGH (a. a. O.) fortwirkt und es bei einer erteilten Aufenthaltsgenehmigung in welcher Form auch immer auf die Motivation des Antragstellers bei seiner Einreise für die Frage eines strafbaren Verhaltens nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht ankommt.