Hessen schafft das Widerspruchsverfahren im Ausländerrecht ab
Mit dem dritten Gesetz zur Verwaltungsstrukturreform vom 17. Oktober 2005 wurde das Hessische Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung geändert (Art. 1 des Gesetzes, GVBl. I S. 675). Nach diesem Gesetz bedarf es ab dem 27. Oktober 2005 gegen Entscheidungen im Aufenthaltsrecht grundsätzlich keines Vorverfahrens mehr. Ausgenommen sind Entscheidungen über den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt, die Verweigerung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, die in Bezug auf Bürger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder türkische Staatsangehörige, wenn diesen ein Anspruch nach dem Assoziationsratsbeschluss 1/80 zusteht, getroffen werden.
Die Ausnahmeregelung ist redaktionell missglückt und führt zum einem Verstoß gegen EG-Recht. Der Wortlaut der Ausnahmeregelung erfasst in Bezug auf Unionsbürger nur einen Teil der möglichen Maßnahmen. Wichtige Bereiche, wie die Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlustes der Freizügigkeit werden ebenso wenig erfasst, wie Maßnahmen gegen Drittstaatsangehörige, die ihre Rechte von EU-Bürgern ableiten.
Auch bezüglich der türkischen Staatsangehörigen ist die Regelung unglücklich gefasst. Was ist mit ?Ansprüchen nach dem ARB 1/80? gemeint? Der Begriff erfasst Ansprüche auf Gleichbehandlung nach Art. 9 ARB 1/80 ebenso wie den Anspruch auf Nichtdiskriminierung nach Art. 10 ARB 1/80. Sicherlich zielt die Regelung nur auf Anspruche nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 ab, aber der Wortlauf ist deutlich weiter gefasst. Bezüglich der zuletzt genannten Ansprüche stellen sich zudem schwierige Abgrenzungsfragen. Sollen diese für eine verfahrensrechtliche Weichenstellung maßgeblich sein? Anwendungsfehler der Behörden sind vorprogrammiert.
Außerdem verstößt die Regelung gegen Art. 9 der RL 64/221/EWG! Denn nach dieser Regelung muss eine unabhängige Stelle die Maßnahme gegen EU-Bürger oder begünstigte türkische Staatsangehörige überprüfen. Da das durchzuführende Widerspruchsverfahren auf die Ausgangsbehörde verlagert wird, fehlt es an einer unabhängigen Stelle mit der Folge, dass ein Vollzug von ausländerrechtlichen Maßnahmen in Hessen auf absehbare Zeit nicht erfolgen kann.
Einzelheiten zur Problematik können Mitglieder des Portals in wenigen Wochen als Kurzbeitrag abrufen.
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