HessVGH: Lebensunterhalt bei Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen

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Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die hinreichende Erfolgsaussicht einer Klage auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gem. § 26 Abs. 4 AufenthG in einem Fall bejaht, in dem der antragstellende Ausländer zwar seinen eigenen Lebensunterhalt, nicht aber den seiner mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Kinder sichern kann (VGH Kassel, B.v. 29.07.2008 – 9 D 961/08).

Die beantragte Niederlassungserlaubnis wurde von der zuständigen Ausländerbehörde mit der Begründung abgelehnt, der Kläger müsse gem. § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht nur seinen eigenen, sondern auch den seiner drei minderjährigen Kinder sicherstellen können. Da nämlich bei der Feststellung des gesicherten Lebensunterhalts gem. § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG die Einkünfte der Familienangehörigen positiv berücksichtigt werden, müssten umgekehrt auch deren Bedarfe stets vom verfügbaren Familieneinkommen abgezogen werden. Es seien insofern die Grundsätze des Familiennachzugs anzuwenden und eine Gesamtrechnung im Sinne einer Bedarfsgemeinschaft anzustellen.

Das Verwaltungsgericht folgte dieser Ansicht und lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Rechtsanwältin Stephanie Weh aus Frankfurt hatte Erfolg: Der Kläger verfügt nämlich über ein Nettoeinkommen von durchschnittlich 1.349 EUR und kann damit zweifelsfrei seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten. Da die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG ausschließlich auf Fälle des Familiennachzugs zugeschnitten sei, sei eine Anwendung auf Fälle des Erhalts einer Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen eher zweifelhaft.

Im Übrigen müsste der Argumentation des VG Neustadt (Urt. v. 06.12.2007 – 2 K 934/07.NW, InfAuslR 2008, 219) weiter nachgegangen werden. Dieses hatte u.a. auf die unterschiedlichen Formulierungen in § 9 Abs. 2 Nr. 2 („sein Lebensunterhalt gesichert ist“) und Nr. 9 („er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Lebensgemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt“) hingewiesen und der Klage in einem vergleichbaren Fall zwecks Neubescheidung durch die Ausländerbehörde stattgeben.

Offen gelassen hat der VGH Kassel die Frage, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt, da die Familienangehörigen des Klägers "Sozialleistungen" beziehen. In der Tat beziehen diese auf Grund ihres eigenen humanitären Aufenthalts Leistungen nach dem AsylbLG. Der Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG erfordert jedoch den Bezug von "Sozialhilfe". Der überwiegende Teil der Literatur geht daher davon aus, dass mit "Sozialhilfe" nur Leistungen nach dem SGB XII, ehemals BSHG, gemeint sind (z.B. Hailbronner, AuslR, § 55, Rn. 79; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, § 7, Rn. 165; Renner, § 55, Rn. 44ff.; zum § 46 Nr. 6 AuslG 1990: GK-AuslR, § 46, Rn. 113). In diesem Sinne auch die Anwendungshinweise der Behörden (vorl. VwV-Nds, Nr. 55.2.6.1; VAH-Berlin, Nr. 55.6; unklar VAH-BMI, Nr. 55.2.6.1). Die Rechtsprechung ist hingegen noch wenig entwickelt und uneinheitlich (Ausweisungsgrund bejahend: VGH Kassel, B. v. 05.03.2007 - 3 UE 2823/06; OVG Greifswald, Urt. v. 26.09.2007 - 2 L 173/06; verneinend: OVG Sachsen, B. v. 17.08.2006 - 3 BS 130/06; VG Göttingen, Urt. v. 26.03.2008 - 1 A 400/06, insbes. unter Hinweis auf den Wortlaut von § 23 Abs. 2 SGB XII; offen gelassen: VG Hamburg, Urt. v. 08.05.2008 - 17 K 756/08; BVerfG, B. v. 11.5.2007 - 2 BvR 2483/06). Bzgl. dieser Fragestellung liegt also weiterhin Klärungsbedarf vor, wodurch den Betroffenen jedoch nicht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt werden kann. Die neben den Erfolgsaussichten zusätzlich erforderlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen dürften in den entsprechenden Fallkonstellationen regelmäßig vorliegen.

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