Ausländerrecht Rechtsprechung: Abschiebung Kosovo - OVG Rheinland Pfalz, Art. 8 Abs. 1 EMRK (Az.: 7

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Rechtsprechung zum Ausländerecht: Abschiebung einer Familie aus dem Kosovo - Vollstreckungshindernis gemäß Art. 8 EMRK

Das OVG Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 24.02.2006 (Az.: 7 B 10020/06.OVG) die Abschiebung einer Familie aus dem Kosovo einstweilen ausgesetzt, weil im Falle aller Antragsteller einiges dafür sprach, dass gemäß Art. 8 EMRK ein Vollstreckungshindernis besteht und die Antragsteller deshalb sogar einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis i.S.v. § 25 Abs. 5 AufenthG haben.

Schutz des Privatlebens gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK

Der 7. Senat des OVG Rheinland-Pfalz stützte seine Entscheidung auf folgende Gesichtspunkte:
?Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieser Rechte nur statthaft, insoweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral und zum Schutze der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Vollstreckungshindernis nach Art. 8 Abs. 1 EMRK

Soweit insbesondere die Antragstellerinnen zu 3) und 4) geltend machen, die vom Antragsgegner beabsichtigte Beendigung ihres Aufenthalts im Bundesgebiet be¬rühre ihr hier verwurzeltes Privatleben i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EMRK, ist dies nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Die am 4. Mai 1991 geborene Antragstellerin zu 3) und die am 26. Juni 1992 geborene Antragstellerin zu 4) sind Anfang September 1993, also als Kleinkinder im Alter von 2 1/4 bzw. 1 1/4 Jahren, zusammen mit ihren Eltern in das Bundesgebiet eingereist und leben hier nun seit 12 1/2 Jahren. Allerdings folgt aus Art. 8 EMRK grundsätzlich kein Recht eines Ausländers, in ein bestimmtes Land einzureisen und sich dort aufzuhalten (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juni 2005 ? 60654/00 ? "Sisojewa", InfAuslR 2005, 349, sowie Entscheidungen vom 17. Oktober 2004 ? 33743/03 ? "Dragan", NVwZ 2005, 1043 [1045], und vom 16. Juni 2004 ? 11103/03 ? "Ghiban", NVwZ 2005, 1046; vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 3. Juni 1997 ? 1 C 18.96 ?, NVwZ 1989, 189 m.w.N.). Vielmehr bedarf es näherer Anhaltspunkte dafür, dass ein Ausländer nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht auf das Land seiner Staatsangehörigkeit verwiesen werden kann. Dies kommt etwa dann in Betracht, wenn ein Ausländer in einem anderen Staat aufgrund seiner gesamten Entwicklung faktisch zu einem Inländer geworden ist und ihm wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit, zu dem er keinen Bezug hat, nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 1998 ? 1 C 8.96 ?, NVwZ 1999, 303 [305]).

Maßgebliche Integrationskriterien

Maßgeblich ist deshalb zum einen, inwieweit der Ausländer unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert ist. Gesichtspunkte sind insoweit insbesondere die Dauer und der Grund seines Aufenthalts in Deutschland sowie dessen rechtlicher Status, der Stand seiner Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift, seine berufliche Tätigkeit und seine wirtschaftlichen Integration bzw. bei einem Kind, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen seine Integration in eine Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung, seine Wohnverhältnisse, seine sozialen Kontakte sowie die Beachtung gesetzlicher Pflichten und Verbote. Zum anderen ist maßgeblich, welche Schwierigkeiten für den Ausländer ? wiederum unter Berücksichtigung seines Lebensalters und seiner persönlichen Befähigung ? mit einer (Re-)Integration in das Land seiner Herkunft bzw. Staatsangehörigkeit verbunden sind. Gesichtspunkte sind diesbezüglich vor allem, inwieweit Kenntnisse der dort gesprochenen und geschriebenen Sprache bestehen bzw. erworben werden können, inwieweit der Ausländer mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist und inwieweit er dort bei der (Wieder-)Eingliederung auf Hilfestellung durch Verwandte und sonstige Dritte rechnen kann, soweit diese erforderlich sein sollte (vgl. insgesamt VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. November 2005 ? 1 S 3023/04 ?, InfAuslR 2006, 70 [71], VG Stuttgart, Urteil vom 22. November 2005    ? 12 K 2469.04 ?, InfAuslR 2006, 72 [74], VG Karlsruhe, Urteil vom 19. Dezember 2005 ? 6 K 5.04 ?, juris.de sowie VG Darmstadt, Beschluss vom 21. Dezember 2005 ? 8 G 2120/05(2) ?, Asylmagazin 2006, 39 f., alle m.w.N.).

Der Antragsgegner hat das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 8 EMRK bezüglich der Antragstellerinnen zu 3) und 4) jedenfalls nicht ausdrücklich geprüft und in der Annahme, deren Aufenthaltsrecht sei abhängig von dem ihrer Eltern, diesbezüglich auch ansonsten detaillierte Feststellungen nicht getroffen. Immerhin aber kann den Verwaltungsakten entnommen werden, dass der Aufenthalt der Antragstellerinnen zu 3) und 4) bis zum 29. Juli 1997 gestattet und hernach   durch Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen bis zum 26. Oktober 2004, also etwa 7 1/4 Jahre lang, genehmigt war. Ferner ist bei den Antragstellerinnen zu 3) und 4) aufgrund ihres Lebensalters und der vorgelegten Schulbesuchsbescheinigungen davon auszugehen, dass sie beide seit mehr als 6 Jahren die Schule besucht haben und damit beispielsweise insoweit die Voraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllen würden. Da die Antragstellerinnen zu 3) und 4) aufgrund ihres Lebensalters noch nicht selbst ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherstellen können und dürfen, kann bezüglich ihrer Verwurzelung in die hiesigen Verhältnisse nicht zu ihren Lasten entscheidend darauf abgestellt werden, dass sie, ihr Bruder und ihre Eltern von Arbeitslosenhilfe, Kindergeld, Wohngeld und Sozialhilfe leben. Hinweise auf den Stand ihrer Deutschkenntnisse und auf ihr soziales Umfeld finden sich in den Verwaltungsakten und in der Gerichtsakte indessen ebenso wenig wie auf den Stand ihrer Kenntnisse der albanischen oder serbokroatischen Sprache und auf den Umfang ihrer Beziehungen zum Kosovo. Dies wird im Widerspruchsverfahren zu ermitteln sein, wobei es allerdings letztlich den Antragstellerinnen zu 3) und 4) bzw. ihren Eltern obliegen wird, diesbezüglich substantiierte Ausführungen unter Angabe nachprüfbarer Umstände zu machen und soweit als möglich bereits zu belegen (vgl. auch § 82 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG).

Schutz des Familienlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK für die Eltern

Sollte den Antragstellerinnen zu 3) und 4) eine Rückkehr in das Kosovo nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unzumutbar sein und deshalb eine Aufenthaltsbeendigung durch den Antragsgegner einen in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendigen Eingriff in ihr Privatleben im Sinne von Art. 8 EMRK darstellen, so bedeutete zugleich eine Abschiebung der Antragsteller zu 1), 2) und 5) einen ebensolchen Eingriff in ihr durch Art. 8 EMRK und Art. 6 GG geschütztes Familienleben, da die Antragstellerinnen zu 3) und 4) noch minderjährig und auf ihre Eltern angewiesen sind und nicht allein in Deutschland bleiben können. Da auf die Antragsteller zu 1) und 2) erst recht der am 5. Oktober 1997 in Deutschland geborene Antragsteller zu 5) angewiesen ist, würde der Schutz des Familienlebens auch seinen Verbleib in Deutschland erfordern.